Cosmopolis
Von Sebastian Selig // 3. Juni 2012 // // 2 Kommentare
Dieser Sarg misst gut und gerne acht Meter. An seinem Ende prangt ein Thron, in dessen Armlehne kleine mit den Fingerspitzen zu bedienende Touchscreens integriert wurden. Auf ihnen addieren sich, weiß-blau leuchtend auf dunklem Grund, stetig die endlosen Zahlenreihen aus der Zukunft. Das Jetzt wiederum ist eine träge, an den rundum angebrachten Fenstern der Limousine vorbeifließende Projektion New Yorker Großstadtarchitektur und gelber Cabs, die immer mal wieder ganz instinktiv ihren Kurs ändern.
Wie viele sehr kluge, man möchte besser schreiben: in ihrem Kopf lebende Menschen, so drängt es auch David Cronenberg in seinem neuen Film ständig nach Berührung. In diesem engen Raum, der gibt (Wirklichkeitsaufbereitung, Limonade), auf den sich aber auch urinieren lässt. Dessen harte Schale einerseits abschirmt und doch immer wieder ganz sprunghaft durchbrochen werden kann. In dieser iPhone-weißen Sänfte will sich der Master of the Univerese nun einmal quer durch die Stadt tragen lassen, bevor er alles loslässt oder, besser noch: bevor ihm alles genommen wird. Unberührbar entrückt einem Haarschnitt entgegen. Bewacht von einem Hofstaat bestens bewaffneter Vasallen.
In dieser Atmosphäre wird nicht gesprochen, es wird proklamiert. Und gefickt. Oder einfach nur in die Leere gestarrt. Jeder darf etwas dazu sagen, seine Sicht der Dinge proklamieren. Die Kunsthändlerin, der Nerd, der Arzt, alle. Das, was man dann hört, hört nicht auf, unglaublich interessant und richtig zu klingen, auch wenn es einem in einer Art und Weise serviert wird, für die man in der Wirklichkeit Gefahr liefe, rechts und links eine geknallt zu kriegen. Hier liebt man es aber vorbehaltlos, hört der stete Fluss kalt und klug ausformulierter Worte einfach nicht auf, einem die asymmetrisch deformierte Prostata zu massieren.
Hört es nicht auf, einen zu berühren, weil in all dem kalt Gesagten so viel obsessive Sehnsucht nach dem krassen Gegenpol, dem rauschhaften Berührungsschmerz durchschimmert. Und von dem gibt es ja dann auch jede Menge. Keiner kommt davon lauter und intensiver als Juliette Binoche, deren Unbefangenheit einen durch noch viel längere Filme fliegen lassen könnte. Sie und die mit 100.000-Volt-Tasern spielende Patricia McKenzie benetzen den immer noch ganz lethargisch bleichen Vampir mit dem Geruch nach hartem, vorbehaltlosem Sex. Schön.
Draußen taucht daraufhin wieder und wieder ein schönes, kalt unglückliches Mädchen auf, um sich immer weiter zu lösen. Wie dem Vampir sowieso zunehmend alles abhanden kommt. Was diesen befreit natürlich gleich noch mehr wegballern lässt.
COSMOPOLIS, das ist ein Befreiungstanz, bei dem mit ungerührtem Gesichtsausdruck eine Reihe Derwische um den weißen Sarg wirbelt. Bei denen immer mal wieder mit Ratten geworfen wird und Schweizer Armeepistolen auf Sprachsteuerung reagieren. Ein Film, der einen ruhig auch noch sechs Stunden, nein, besser noch einen ganzen Tag lang gefangen nehmen könnte. Tut er auch, wenn auch nach den ersten zwei Stunden nur noch ganz tief drinnen, auf unbewusst neuronaler Ebene. Jetzt, knapp drei Tage später, kann ich ihn noch immer in mir ticken hören. Im steten Informationsaustausch. Klack, klack, klack … ganz viele weiß-blau leuchtende Zahlenreihen aus der Zukunft. Ausgedacht und eben doch bis in den kleinsten Pixel hinein zu spüren. Wirklichkeit.
Cosmopolis, USA 2012, Regie: David Cronenberg
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Cosmopolis
2 Kommentare zu "Cosmopolis"
Schlechte Laune, gaga?
muss ein super Film sein , dass Sie nach 3 Tagen noch darueber nachdenken