Angriff der Monsterkraken – Teil 2
Von Oliver Nöding // 29. Juni 2012 // Tagged: featured, Horror, John Eyres, Lorenzo Lamas, Monsterfilm, Science Fiction, Stephen Sommers // 8 Kommentare
Wie schon angedroht, geht es an dieser Stelle ohne langes Vorgeplänkel weiter mit den lustigen Krakenmonstern. Viel Spaß!
Octalus (Deep Rising, Stephen Sommers, USA 1998)
In den Achtzigerjahren hielten der Tierhorror- und der Monsterfilm einen ausgedehnten Winterschlaf (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel). Seine Protagonisten hatten sich im Jahrzehnt davor ordentlich sattgefressen und nun mit Verstopfung und Sodbrennen zu kämpfen. Die klaffende Lücke wurde geschlossen von Slashern und Serienmördern, sowohl der eher schweigsamen als auch der sprücheklopfenden Sorte, gemeinen Außerirdischen und okkulten Phänomenen. In den Neunzigern schien die Zeit nach Spielbergs Dinosaurierhit JURASSIC PARK eigentlich wieder reif für Monster, doch stand dem Comeback auf breiter Front wohl die Angst der Produzenten vor dem irreparablen Coolness-Verlust im Weg, gegen den auch maximale Finanzpower keinen hundertprozentigen Schutz bot: So blieb der Monsterflick klassischer Prägung bis auf wenige meist todsterbenslangweilige Ausnahmen (siehe etwa Emmerichs gotteslästerlichen GODZILLA) ein Videotheken-Phänomen. Bis im Jahre des Herrn 1998 Stephen Sommers‘ OCTALUS das Licht der Kinoleinwände erblickte.
Ich muss gestehen, dass es mir absolut unmöglich ist, diesen Film auch nur annähernd objektiv zu betrachten, weil ich mit ihm eines der schönsten Kinoerlebnisse meines Lebens verbinde. Mit meinen besten Freunden trat ich im Frühsommer 1998 die Reise aus der Kinoprovinz Krefeld ins rund 60 Kilometer entfernte Köln an, um dort einen Film zu sehen, der im Mainstream-Filmangebot jener Zeit wie ein Unfall aussah. Als sei den Studiobossen dieser krude 45 Millionen Dollar teure Trashfilm beim Durchwinken von öden High-End-Gurken wie DEEP IMPACT, ARMAGEDDON, MEET JOE BLACK, THE FACULTY oder WHAT DREAMS MAY COME durch die öligen Flossen gerutscht. Keine Frage, dass vier (oder waren wir zu fünft?) trash- und horrorbegeisterte Frühzwanziger diesen Film sehen mussten, bevor irgendjemandem der Fehler auffiel und OCTALUS von den hohen Weihen des Multiplex-Betriebs wieder ausgeschlossen werden würde. So nahmen wir dann in der ersten Reihe des Kinos platz, über deren äußerste Sitze unser kollektives Breitmaulfrosch-Grinsen noch als tückische Stolperfalle hinausragte, und begannen uns mit dem rhythmischen Skandieren des Titels („Oc-ta-lus! Oc-ta-lus!“) auf das Spektakel vorzubereiten. Wir wurden nicht enttäuscht. Zu der Freude über Sommers‘ rundum gelungenen, die gefährliche Gratwanderung zwischen Ernst und Selbstironie brillant meisternden Monsterfilm kam dieses erhebende Gefühl, dabeigewesen zu sein, als das System einen seiner enorm raren Ausfälle erlebte: OCTALUS durfte eigentlich gar nicht existieren, er war, wie gesagt, ein Unfall, eine Videopremiere, die durch eine Verkettung unglücklicher Umstände und Missverständnisse mit einem Multimillionenbudget ausgestattet und auf die große Leinwand gehievt worden war. Nicht allzu viele Menschen haben das überhaupt mitbekommen: Mit uns saßen zwei oder drei das einmalige Erlebnis ähnlich glucksend-erfreut feiernde Zuschauer im Kinosaal und ein oder zwei Wochen später war der Spuk auch schon wieder vorbei (laut IMDb erwirtschaftete Sommers‘ Film in den USA gerade mal ein Viertel seines Budgets). OCTALUS im Kino gesehen zu haben, empfinde ich (zugegeben pathetisch überhöht) als das Äquivalent zur Zeugenschaft an einem extrem seltenen Naturphänomen, über das es keine Aufzeichnungen gibt; oder an einem historischen Moment, der aber erst im Rückblick als solcher erkennbar wird. Als habe man an etwas wirklich Großem teilgenommen, das aber im Moment des Ereignisses einfach nur ein unvorhersehbarer Zufall, eine Laune des Schicksals war.
OCTALUS erzählt von einer Crew moderner Piraten (unter ihnen Kapitän Treat Williams, Sommers-Regular Kevin J. O’Connor, Jason Flemyng, Wes Studi und Djimon Hounsou), die auf hoher See einen Luxusdampfer entern, nicht ahnend, das jener zuvor von einem krakenartigen Seeungeheuer attackiert worden ist. Nur die schöne Diebin Trillian St. James (Famke Janssen) und der schmierige Kapitän (John Heald) haben den Angriff überlebt und gemeinsam mit den beiden müssen die Rauhbeine nun versuchen, die schwimmende Todesfalle wieder heil zu verlassen …
Das Wesentliche habe ich schon gesagt und OCTALUS ist definitiv nicht der Film, über den man seitenlange Exegesen verfassen müsste, weil sich sein Wert vor allem in der guten Laune äußert, die er auf den Zuschauer überträgt. Diese Freude hängt natürlich auch mit dem oben beschriebenen Ausnahmecharakter des Films zusammen: Es ist einfach toll, einen solchen B-Movie-Stoff im Gewand eines Blockbusters zu sehen – vor allem, wenn die Transition dermaßen gut gelungen ist wie hier. Die Effekte sind, wenn schon nicht bahnbrechend oder revolutionär, so doch sichtbar von Könnern gefertigt, die Darstellerriege gespickt mit Leuten, die anderswo immer nur die zweite Geige spielen (vor allem natürlich der tragisch unterbeschäftigte Treat Williams), obwohl man sie gern in größeren Rollen sähe, das Drehbuch von einer schnörkellosen Straffheit, die sich das Eventkino sonst viel zu selten erlaubt, weil es immer bestrebt ist, alle Zielgruppen auf einmal zu bedienen. Und dann ist da noch der überaus angenehme Humor: Sommers und seine Darsteller wissen ganz genau, dass ihr Film ziemlich stulle ist, aber weder hat man als Zuschauer den Eindruck, dass sie insgeheim meinen, sich dafür entschuldigen zu müssen, noch lassen sie den Film auf Kosten der Spannung zur hohlen Kalauerparade verkommen. Ewig im Gedächtnis wird mir ein wunderbar hanebüchener Dialog bleiben, der von Treat Williams mit der stoischen Ruhe eines Nachrichtensprechers intoniert wird: Mit seinen Leidensgenossen in einem Raum verbarrikadiert, erzählt der viel gereiste Seebär davon, wie er mal einen Octopus dabei beobachtete, wie der eine Flasche entkorkte, um an einen in dieser gefangenen Fisch zu kommen. Nachdem er fertig ist, richtet einer der Zuhörer die Frage an ihn, was das denn mit ihnen zu tun habe. Kurze Pause, bedeutungsschwere Musik, Großaufnahme auf Williams‘ Pokerface, dann Pause: „Wir sind der Fisch!“
Stephen Sommers hat viel Mist gedreht nach OCTALUS, unter anderem den fürchterlichen, eigentlich unentschuldbaren VAN HELSING, an dem einfach alles auf katastrophale Weise falsch ist, bevor er sich vor drei Jahren mit dem prächtigen, filmgewordenen Jungstraum G.I. JOE – GEHEIMAKTE COBRA wieder rehabilitierte. Für OCTALUS bin ich ihm auf ewig dankbar und er stellt für mich bis heute die einsame Spitze des hier besprochenen kleinen Sub-Sub-Subgenres dar. In meinen kühnsten Träumen wird irgendwann einmal die Fortsetzung gedreht, die der drollige Schlussgag des Films – aus einer Zeit, als solche noch nicht ganz der öde Standard von heute waren – andeutet. Das mag unwahrscheinlich sein: Aber auch OCTALUS hat die Menschheit schließlich unvorbereitet getroffen.
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Octopus (John Eyres, USA 2000)
Warum ich nur Filmrezensionen oder kleinere Essays wie diesen hier verfasse und nicht Romane oder Drehbücher, kann man gut an meiner Ode auf OCTALUS ablesen, die im Kontext dieses Textes natürlich im besten Wortsinne antiklimaktisch ist: Jedem Leser ist klar geworden, dass es von jetzt an nur noch bergab geht. Insofern muss ich meinen Hut vor John Eyres ziehen, bei dessen Direct-to-Video-Produktion OCTOPUS man lange eben genau nicht weiß, wohin die Reise gehen wird. (Nur dass sie nicht auf den filmgeschichtlichen Olymp führt, das ist von Anfang an klar.) Eyres machte sich in den frühen Neunzigerjahren einen kleinen Namen mit diversen Produktionen für den Heimvideomarkt, von denen der Cyborg-Actioner PROJECT: SHADOWCHASER recht erfolgreich war und insgesamt drei Sequels nach sich zog, die ersten beiden davon ebenfalls von Eyres. 2000, als OCTOPUS mit einem dumpfen „Plopp“ in den Videothekenregalen landete, da war mit schießwütigen Cyborgs und kartoffelnasigen Kickboxern schon kein Geld mehr zu verdienen. Eyres sattelte um und drehte eben einen Krakenfilm – wie sich in jener Zeit überhaupt der Tierhorrorfilm als neuer Direct-to-Video- respektive -DVD-Standard etablierte: Man denke etwa an Tobe Hoopers bräsigen CROCODILE. Back to Topic: Wer PROJECT: SHADOWCHASER – eine bescheiden budgetierte Mischung aus TERMINATOR und STIRB LANGSAM – gesehen hat, der wird in OCTOPUS ein kleines Déjà-vu erleben: Geblieben ist Eyres Faible für sterile Maschinenräume und schmucklose Kellergänge, für hölzern agierende Schauspieler und mit dem Holzhammer zurechtgezimmerte Klischeefiguren, hässliche Computereffekte sowie für Geschichten, die eigentlich ein Vielfaches des tatsächlich zur Verfügung stehenden Geldes erfordert hätten, um sie adäquat ins Bild setzen zu können. Weil sich Eyres jedoch eine gute Geschichte ungern von der schnöden Realität kaputtmachen lässt, beginnt OCTOPUS nicht im Hier und Jetzt an irgendeinem krakenverseuchten Badestrand, sondern zur Zeit der Kuba-Krise in einem sowjetischen Unterseeboot.
Als jenes U-Boot, das nukleare Waffen nach Kuba bringen soll, den Weg des US-amerikanischen Feindes kreuzt, wird es von diesem kurzerhand versenkt – mitsamt seiner radioaktiven Fracht. Rund 40 Jahre später landet der CIA-Agent Roy Turner (Jay Harrington) als Passagier ebenfalls auf einem U-Boot, um so den in Budapest verhafteten Terroristen Casper (Ravil Isyanov) unbemerkt in die USA zu bringen. Natürlich kreuzt das Gefährt die alte Abschussstelle, natürlich hat der übrig gebliebene radioaktive Müll zur Mutation eines Kraken geführt, der nun das Schiff attackiert, und natürlich gelingt es Casper zu allem Überfluss auch noch, sich aus seiner Gefangenschaft zu befreien. Es kommt zum Überlebenskampf auf dem Meeresgrund, der auch noch nicht zu Ende ist, als den Protagonisten schließlich die Flucht gelingt: Denn das Passagierschiff, das sie aufsammelt, wurde von Caspers Partnern gekapert. Und der Krake ist auch noch nicht tot.
Man merkt es schon: Mangelnde Ambition kann man Eyres definitiv nicht unterstellen. Während andere Regisseure sich nicht zu schade gewesen wären, für ihr Monsterfilmchen zum 435. Mal die für solche Kost erprobte Standardprämisse F – Gruppe von Leuten fährt zum Ort x und wird dort mit Monster y konfrontiert – zu bemühen, da hat Eyres das ganz große Kino im Sinn. OCTOPUS beginnt in den Sechzigerjahren, springt dann in die Gegenwart, wo CIA-Agenten Jagd auf einen Terroristen machen, wechselt nach einer ersten Actionsequenz wieder auf ein U-Boot (dessen Interieur verdächtig nach einem geräumigen Heizungskeller aussieht) und bringt dann, wenn vor lauter Subplots eigentlich kein Platz mehr für eine richtige Handlung ist, die Titelkreatur ins Rennen. Wer einen straighten Monsterflick erwartet, der mag diese Strategie als Etikettenschwindel bezeichnen: Mir hat dieser unkonventionelle Aufbau eigentlich sehr gut gefallen, weil er unleugbar frischen Wind in ein weitestgehend totgerittenes Genre bringt. Auch wenn visuell eher Tristesse angesagt ist und die deutsche Synchro die Sterilität des Films mit ihren charakterlosen Stimmen noch unterstreicht, so kann man OCTOPUS doch eine gewisse Originalität nicht absprechen. Und am Schluss, wenn das Krakenmonster das Passagierschiff attackiert, gibt es ja auch die Monsteraction, die man zuvor vermisst hat. Effekttechnisch ist Eyres Film nur salzarme Hausmannskost. Die digitalen Effekte sind, ähem, nicht wirklich überzeugend, aber das erwartet man ja auch nicht: Der Einsatz zählt. Und hier kann man Eyres durchaus ein gutes Zeugnis ausstellen. Wahrscheinlich stand er vor ganz ähnlichen Problemen wie rund 25 Jahre zuvor sein italienischer Kollege Assonitis: Beide hatten nicht die Mittel, ihren Kraken glaubhaft ins Bild und ins Zentrum ihres Films zu rücken. Doch während Assonitis dieses Problem ganz einfach aussaß, da bemüht sich Eyres nach Kräften, seinen nach Unterhaltung lechzenden Zuschauern etwas anderes als Ausgleich anzubieten. Ob ihm das gelungen ist, darf kontrovers diskutiert werden. Das Gros der Menschen, die OCTOPUS auf der IMDb bewertet haben, hat sich offensichtlich nicht besonders gut amüsiert. Aber daran mag vielleicht auch eine ungerechtfertigte Erwartungshaltung schuld sein. Natürlich ist OCTOPUS kein „guter“ Film. Aber Zynismus, wie etwa Assonitis‘ Machwerk, das tatsächlich nah dran ist am Betrug, würde ich ihm keinesfalls unterstellen wollen. Zum Einmalgucken ist OCTOPUS voll in Ordnung und an einem lauen Feierabend durchaus unterhaltsam im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ich hatte weniger erwartet. Eine realistische Erwartungshaltung ist also mal wieder the key to happiness – wie fast immer im Leben.
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Octopus 2 (Octopus 2: River of Fear, Yossi Wein, USA 2001)
OCTOPUS 2, von der Israeli-Connection um den ehemaligen Kameramann Wein sowie die Tausendsassas Boaz Davidson (auch schon bei Teil 1 sowie geschätzten 2.859 weiteren B-Movies involviert) und Danny Lerner (dito) erdacht und umgesetzt, ist so ziemlich das, was ich im Abschnitt zu OCTOPUS als „nach Standardprämisse F“ eingekurbelt bezeichnet habe. Aber er kommt damit noch einigermaßen gut weg, weil die technische Seite des Films diesmal halbwegs stimmt.
Der New Yorker Hafenpolizist Nick Hartfield (Michael Reilly Burke) hat eine Pechsträhne: Erst erntet er für die fälschliche Verhaftung eines Richters Spott und Kritik, dann muss er bei der Ermittlung in einem rätselhaften Todesfall dabei zusehen, wie sein Partner Walter (Fredric Lehne) einem Riesenkraken zum Opfer fällt, und sich zu guter Letzt auch noch für verrückt erklären lassen, als er seinem Chef davon berichtet. Dabei ist allerhöchste Eile geboten: Zum Nationalfeiertag am 4. Juli plant der Bürgermeister große Festlichkeiten rund um den Hudson River, bei denen ein Riesenkrake ausdrücklich nicht erwünscht ist …
Hier wird nun wirklich jedes Klischee verbraten, dass der Monster- und der Polizeifilm hergeben: Da gibt es die in inniger Freundschaft verbundenen Cops, von denen einer kurz vor der Pensionierung steht und als Vaterfigur für den jungen Heißsporn dient. Der zunächst einzige Augenzeuge für den Krakenmord ist dummerweise ein in den stillgelegten U-Bahn-Schächten Manhattans lebender Obdachloser, dem auch die beiden Cops nicht glauben wollen, was dem älteren das Leben kostet, während der jüngere danach mit den üblichen Widerständen zu kämpfen hat. Unterstützung findet er ausgerechnet bei der kritischen Assistentin des Bürgermeisters, die eigentlich eine aufstrebende Künstlerin war, aber den Pinsel dann auf Geheiß des strengen Papas für ein sicheres Einkommen eingetauscht hat. Der Bürgermeister wiederum hat nur den reibungslosen Ablauf seines Fests im Sinn, das er auf gar keinen Fall absagen will. Nicks Vorgesetzter ist ein harter Hund, entpuppt sich im entscheidenden Moment aber als eigentlich gutmütiger und nachsichtiger Chef, dem einfach manchmal die Hände gebunden sind. Das Arschloch, das sonst immer nur fürs fiese Mobbing und dümmliche Streiche zuständig war, sieht seine Fehler ein und springt dem isolierten Helden tatkräftig zur Seite. Und im Showdown gibt es dann natürlich auch noch eine Oma mit Wauwau und einen Schulbus voller Kinder – von denen eines gehbehindert ist und schlimme Beinschienen trägt – aus einem einstürzenden Tunnel zu retten (als sei nicht schon Stallones ungleich aufwändigerer DAYLIGHT ein veritabler Langweiler gewesen).
Überraschungen gibt es also keine in OCTOPUS 2, außer derjenigen, dass Weins Film trotz akuter Ideenarmut ganz annehmbar geworden ist. Die immer wieder imposante Kulisse New Yorks sorgt für Schauwerte und macht den Film automatisch größer als er eigentlich ist, weshalb sie auch auffallend häufig ins Bild gerückt wird. Die Darsteller, allen voran Michael Reilly Burke (großartig seine Leistung im sehr unterschätzten Anti-Todesstrafen-Sereinmörder-Film TED BUNDY) und Fredric Lehne, sind den entscheidenden Tick besser als es die Mitwirkenden solcher Filme sonst üblicherweise sind und das Drehbuch reiht die müden Klischees immerhin so gekonnt aneinander, dass man gar nicht viel Zeit hat, sich zu langweilen. Die positivste Überraschung des Films dürften aber die Krakeneffekte sein. Hier und da werden zwar eher mäßige Effect Shots aus dem Vorgänger reingemogelt, es überwiegen jedoch schön handgemachte Gummitentakeln, die so geschäftig durchs Bild schlackern, dass es eine wahre Freude ist. Sogar ein recht ansehnliches, mit Fangzähnen bewehrtes Krakenmaul gibt es zu bewundern: Nachdem ich mit DER POLYP bereits einen Krakenfilm ohne Kraken über mich ergehen lassen musste, hatte ich mit solch inflationärem Krakeneinsatz jenseits von OCTALUS schon nicht mehr gerechnet.
Leider ist trotzdem nicht alles Gold, was glänzt, und manchmal noch nicht einmal Silber: OCTOPUS 2 versackt zum Ende hin, nachdem der Aufbau eigentlich recht passabel geglückt ist. Wieder einmal scheitert ein Krakenfilm an der Darstellung des Ungetüms: Im Showdown kämpfen die Helden gegen eine Vielzahl schnell aneinander geschnittener Detailaufnahmen, die, wie oben erwähnt, für sich genommen allesamt durchaus OK sind, sich aber einfach nicht zu einem zufriedenstellenden Gesamtbild zusammenfügen wollen. Der eigentliche Höhepunkt des Films ist also eine herbe Enttäuschung und wird lediglich pflichtschuldig abgewickelt wie das Insolvenzverfahren von Schlecker. Plötzlich ist der Krake tot, obwohl noch 15 Minuten Spielzeit übrig sind. Die Tunnel-Rettungssequenz mit den plärrenden Kindern stellt für den erbitterten Kampf Mann gegen Krake natürlich keinen angemessenen Ersatz dar und so muss OCTOPUS 2 kurz vor Schluss noch einen herben Rückschlag einstecken. Dass das kurz vorher noch in Großaufnahme explodierte Monster dann wie einst seine Slasherkollegen auch noch fröhliche Wiederauferstehung feiert, muss man in diesem Kontext als doppelte Inkonsequenz bezeichnen. Nach einem Schuss mit dem Flitzebogen wird dieselbe Explosionsszene, die vorher schon nicht zum Tod des Ungetüms führte, noch einmal verwendet und alle jubeln. Nur der Zuschauer nicht, der sich die berechtigte Frage stellen darf, ob man das nicht hätte besser machen können. Einen Bonuspunkt erhält der Film in jedem Fall für seinen wunderschön altmodischen Pappmaché-Krakeneffekte und die niedliche Traumsequenz, in der der Krake die Freiheitsstatue besteigt.
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Mega Shark vs. Giant Octopus (Jack Perez, USA 2009)
Nach den beiden zuletzt besprochenen, doch eher tristen Octopussis schließe ich diesen Artikel mit einem filmischen Leberhaken der Sonderklasse, einer bunten Wundertüte für den Herren, dem Long Island Ice Tea des DTV-Tierhorrortrashs (der in diesem einen Fall sogar im Kino lief!), dem CITIZEN KANE der auf grellen Schrott mit geilen Titeln spezialisierten Produktionsfrma The Asylum. Und wie sollte ich diesem Film gerecht werden, wenn nicht mit einer megamäßig gigantischen Aufzählung? Here we go: MEGA SHARK VS. GIANT OCTOPUS hat einen aus dem ewigen Eis aufgetauten Urzeit-Riesenhai (Zahngröße: 3 Meter), einen ebensolchen Riesenkraken, drei sympathisch unverzagte Wissenschaftler (Doktorvater, Japaner, Ische), von denen sich Ische und Japaner ineinander verlieben, während der Doktorvater dazu nur großväterlich verständnisvoll dreinblickt, jede Menge finster guckende Militär- und Geheimdienstfuzzis, die immer eine Knarre im Anschlag haben, U-Boote, Hubschrauber, Düsenflieger und Kriegsschiffe galore, Atombombendrohungen, wichtigtuerische Schrifteinblendungen, die den Zinnober in die Nähe des Agententhrillers oder des apokalyptischen Katastrophenfilms rücken, von Michael Bay geklaute Schnitteffekte, die das Bild kurz schwarzweiß einfärben, aufblitzen lassen oder alles mit dramatischen „Whooosh“-Fürzen unterlegen, schicke Zeitraffer-Aufnahmen von vorüberziehenden Wolken im Sonnenuntergang, die denkbar schlechtesten Lösungsansätze für die vom Plot gestellten Aufgaben, miserable Computereffekte ohne echte Anbindung an den filmischen Rest und natürlich Lorenzo Lamas mit seinem Trademark-Pferdeschwanz und der Aufgabe, den Urzeitviechern die passenden Oneliner und Powerphrasen entgegenzusetzen.
Zunächst aber zur Handlung, die ähnlich klobig ist wie die beiden Titelhelden: Durch einen Unfall werden ein eigentlich seit Millionen von Jahren ausgestorbener Riesenhai, der Megalodon, und sein Zeitgenosse, ein Riesenkrake, aus dem ewigen Eis und ihrem Winterschläfchen geweckt. Während es den Kraken nach Japan zieht, wo er eine Ölbohrinsel in die Tiefe reißt, schwimmt der Hai gen USA und schnappt sich schnell als schnellen Snack ein Passagierflugzeug vom Himmel. Die Wissenschaftler Emma (Deborah Gibson), ihr Doktorvater Lamar (Sean Lawlor) und der japanische Kollege Shimada (Vic Chao) finden bald heraus, welche rüstigen Rentner da ihre Scharmützel in den Weltmeeren austragen, werden deshalb als Sicherheitsrisiko eingestuft und vom Militär hopps genommen (im Jahrzehnt nach 2001 geht einfach nix ohne Verschwörungstheorien und Überwachungsstaat-Paranoia, noch nicht einmal in einem Riesenhaifilm). Natürlich baut man auf ihre Kooperation: Doch wie kommt man den Riesenurviechern bei, wenn man sie nicht einfach in 1.000 Einzelteile sprengen, sondern – bis zur totalen Verblödung durchzivilisiertes Volk, das man ist – zu Forschungszwecken einfangen (!) will?
Weil man beim Bumsen immer noch die besten Ideen hat, verlieben sich Emma und Shimada und treiben es gleich auf dem harten Fußboden unter romantischem Neonlicht. Und siehe da: Des Rätsels Lösung sind Pheromone. Also werden die Buchten von Tokio und San Francisco, die man für geeignete Orte hält, um die Biester einzufangen (wahrscheinlich, weil es da so viele Augenzeugen gibt, die gegebenenfalls Hinweise zur Ergreifung der Monster geben können), mit den Duftstoffen eingenebelt, auf dass sich die Tiere dort festschwimmen. Was jeder halbgebildete Videonerd hätte vorhersagen können, passiert: Der Megashark beißt ein großes Stück aus der Golden Gate Bridge raus, wobei „Tausende“ ihr Leben lassen. Wahrscheinlich war gerade Sommerschlussverkauf. Nun ist guter Rat teuer. Eine Atombombe, die der Militäranführer-Dude Allan (Lorenzo Lamas) – nur Japaner haben Nachnamen in diesem Film – sofort begeistert als Plan B ins Feld führt, wird von den Wissenschaftsweicheiern als zu radikal empfunden, stattdessen kommen sie auf die glorreiche Idee, Hai und Krake selbst mit den entsprechenden Pheromonen einzusprühen und die beiden natürlichen Todfeinde (eine Gesichtsanalyse der noch eingefrorenen Biester zeigte, dass beide sich kurz vor Einbruch der Eiszeit böse angeguckt hatten) aufeinanderzuhetzen. Gesagt, getan: Hai und Krake verbeißen sich ineinander und versinken in der Tiefe.
Die Wissenschaft geht zwar leer aus, aber immerhin ist sie für den höchst sinnlosen Tod vieler, vieler Menschen verantwortlich, die das Militär doch viel lieber auf dem Gewissen gehabt hätte. So ist sie, die moderne, stetig komplexer werdende Welt. Da spielt Lorenzo Lamas in einem Film mit und muss sich von einer Frau in seiner Kernkompetenz – Leute umtreten, wegboxen und umbringen sowie Motorrad fahren – beschneiden lassen. Er trägt es mit Fassung und den enthemmten Sprüchen einer echten Stimmungskanone. Immerhin darf er seinen Pferdeschwanz bis zum Schluss behalten und cool aussehen. Mein Favorit ist sein Kommentar, als der Hai anscheinend einem Torpedo zum Opfer gefallen ist: „Wooo-hoooo! Who wants some sharkskin boots?“ Ein Vorgesetzter, wie man sich ihn wünscht: sachlich, zurückhaltend, auch in schwersten Krisen immer einen kühlen Kopf bewahrend.
Um MEGA SHARK VS. GIANT OCTOPUS angemessen zu würdigen, ist es nötig, auf seine Produktionsfirma The Asylum einzugehen. 1997 gegründet, hatte sie zunächst große Schwierigkeiten, ihre dem Genrekino zugehörigen Filme zu verkaufen. Der Durchbruch kam, als sie 2005, im selben Jahr, in dem Spielberg seine Verfilmung von WAR OF THE WORLDS auf die Leinwände brachte, ebenfalls mit einer Verfilmung von H. G. Wells‘ Roman aufwartete – natürlich mit einem um ein Vielfaches geringeren Budget: Videotheken bestellten den Film in ungeahnten Mengen und trugen somit zu einer neuen Geschäftsphilosophie bei. Seitdem produziert The Asylum offenkundige (ob das auch die Mehrheit der Ausleiher so sieht, sei mal dahingestellt) Rip-offs großer Blockbuster für den Verleih- und Heimkinomarkt: Filme wie TRANSMORPHERS, THE DAY THE EARTH STOPPED, SNAKES ON A TRAIN, BATTLE OF LOS ANGELES, AVH: ALIEN VS. HUNTER, 100 MILLION BC oder ABRAHAM LINCOLN VS. ZOMBIES und etliche weitere. Dieses Geschäftsmodell ist natürlich anrüchig und hat schon zu diversen Urheberrechtsklagen geführt; aber eigentlich ist es guter und bekannter Brauch im Exploitationbereich, sich an größere, erfolgreichere und teurere Filme dranzuhängen. Im westen nichts Neues also?
Doch. Neu an The Asylum ist, wie offensiv und dreist sie kopieren. Cineasten und Filmkunst-Puristen werden Filme wie MEGA SHARK VS. GIANT OCTOPUS oder dessen unfassbares Sequel MEGA SHARK VS. CROCOSAURUS eh die Zornesröte ins Gesicht treiben, das ist zu verschmerzen. Aber selbst die potenzielle Zielgruppe dürfte sich oftmals verprellt fühlen. Asylum-Produktionen sind das filmische Äquivalent zur Klingeltonwerbung: bunt, laut, schrill, aufdringlich und wertlos. Hinter den Sensationen versprechenden Coverartworks verbergen sich eiligst zusammengeschluderte Machwerke, die sich nach traditionellem Verständnis oft kaum noch als Filme bezeichnen lassen. MEGA SHARK VS. GIANT OCTOPUS, dessen Verkaufsversprechen sich ja schon aus seinem Titel ablesen lässt, präsentiert eine von schlechten Computeranimationen unterbrochene Abfolge von Dialogszenen als Monsterfilm, gaukelt dem Zuschauer eigentlich nur vor, einer Handlung beizuwohnen. Die oben aufgezählten Plotpoints werden zwar via Dialog abgehakt, aber die Aktionen, die dann folgen, lassen sich damit kaum in Übereinstimmung bringen. Aus einer strukturalistischen Metaperspektive ist das durchaus interessant, wirklich amüsieren wird sich mit diesem Film aber nur, wer über einen ausgeprägten Sinn für Humor, ein großes Herz und ein Faible für Baddies hat. Und wer vorher weiß, worauf er sich da einlässt.
Damit sind die Asylum-Filme natürlich wie gemacht für mich. Ich habe mein Verhältnis zu ihnen mal mit dem Reiz verglichen, den Wundertüten, Überraschungseier oder Spielzeugautomaten auf Kinder ausüben. Zwar ist man am Ende um etwas Kleingeld ärmer und hat dafür nur eine handvoll wertlosen Plastikramsch erstanden, trotzdem ist die Verlockung beim nächsten Mal wieder da: Diesmal habe ich bestimmt mehr Glück! Die marktschreierischen Covers und die von plumpen Superlativen durchzogenen Titel der Asylum-Filme ziehen mich einfach magisch an. Klar, eigentlich weiß ich, dass der Riesenhai, der Riesenkrake, das Riesenkrokodil, die auf der Hülle furchteinflößend die Zähne fletschen, im Film wieder nur ein unansehnliche Pixelhaufen sind, die für insgesamt drei Minuten Laufzeit durchs Bild ruckeln, aber rein theoretisch könnte es ja auch anders kommen. Als studierter Philosoph weiß ich um das so genannte Induktionsproblem: Nur weil die Menschheit aus der Summe ihrer gemeinsamen Betrachtungen die Erfahrung gemacht hat, dass morgens für gewöhnlich die Sonne aufgeht, heißt das keiensfalls, dass sie auch morgen zwangsläufig wieder am Himmel steht. Also werde ich auch in Zukunft aufmerksam beobachten, welch bunten Schrott The Asylum auf den Markt wirft, und auf den Moment hoffen, in dem die Regel ihre Ausnahme erlebt. Und da sind wir dann wieder am Anfang und bei OCTALUS …
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Aus Gründen der Übersichtlichkeit, gibt es die Trailer zu allen besprochenen Filmen auf einer extra Seite zu sehen > Trailershow zu diesem Artikel
8 Kommentare zu "Angriff der Monsterkraken – Teil 2"
Super Artikel, danke Oliver….
… auch wenn ich etwas enttäuscht war, dass eines meiner Kindheitserlebnisse (danke, RTL-Horrorfilm-Freitage, ich vermisse euch noch immer) fehlt. ;)
http://www.imdb.com/title/tt0088100/
MONSTER SHARK kenne ich natürlich. Da ich mich aber nur noch an eine Szene erinnern kann, in der William Berger minutenlang irgendwelche Bildschirmanzeigen und Blinklichtchen anglotzt, nur um dann einfach den Raum zu verlassen, frage ich dich: Kommt da tatsächlich ne Krake drin vor?
Oha,
also OCTALUS ist schon so ’ne Sache. Habe den „damals“ mal an einem verregneten Nachmittag (Bingo! Klischee, aber wahr) mit einer Schüssel Wackelpudding auf meinem Schoß gesehen, und fand den gar nicht mal so übel… ich glaube, es war Waldmeister.
Nein, aber mal kurz im Ernst, sicher ist das Filmchen eine Trash-Granate vor dem Herrn, sogar mit ein paar richtig guten Schockmomenten, aber ein Riesen-Tinitus, den ich dem Film nie verzeihen werde, ist dieser nervtötende Schiffsmechaniker Joey. Mann! Also mir hat der Kerl den Film echt kaputt gemacht. Und… Nein, es kann nicht nur an der Synchro gelegen haben! Ich hasse solche Deppen- Anhängsel (remember Rob Schneider in Judge Dredd!).
Nun…
aus irgendeinem Grund (vielleicht weil es regnete?) habe ich diesen Murx vor kurzem nochmal mit Freunden geschaut… und danach habe ich ihn ENDLICH verkauft oder verbrannt oder … ach, ich weiß es nicht mehr. Ich merke, ich rege mich schon wieder auf.
Tja, siehste … So unterschiedlich kann man Filme wahrnehmen. Klar, ist OCTALUS weder besonders originell noch besonders intelligent. Aber ärgern kann ich mich über gar nix bei dem Teil, weil ich ihn dafür einfach viel zu kurzweilig und auf höchst angenehme Art und Weise unambitioniert finde.
Auch wenn es ein Kommunikationskiller ist: Da ist wohl die Binsenweisheit über die unterschiedlichen Geschmäcker tatsächlich der Weisheit letzter Schluss. Und groß diskutieren muss man über OCTALUS eh nicht. Entweder er gefällt – so wie mir – oder eben nicht – so wie bei dir. Feierabend. Es gibt andere Filme, bei denen es sich eher lohnt, sich drüber aufzuregen, denke ich. :)
Suk, solltest du ihn nicht verkauft oder verbrannt haben, dann bring ihn mal rüber. Ich will den unbedingt wieder mal sehen.
Hast nicht ganz Unrecht. Ich wollte zuerst noch ein paar „Honorable Mentions“ anfügen, habe das dann aber vergessen. (Nach MEGA SHARK VS. GIANT OCTOPUS war einfach alles anders als vorher.)
Da hätte ich dann natürlich TARKAN VIKING KANI genannt, aber auch Robert Altmans POPEYE, Ed Woods BRIDE OF THE MONSTER, Brian Yuznas NECRONOMICON, Guillermo Del Toros HELLBOY und Neil Jordans HIGH SPIRITS. :)
Wie? Keine „honorable mention“ der Krake aus TARKAN VIKING KANI? Gut, würde vielleicht auch ein wenig ausufern, als reiner Krakenfilm ist der ja nicht zu bezeichnen…
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