Shit Year
Von Leena May Peters // 23. Mai 2012 // // 2 Kommentare
Die gereifte Schauspielerin Colleen West (Ellen Barkin) hat gerade ihre Karriere und die Beziehung zum wesentlich jüngeren Kollegen Harvey West (Luke Grimes) beendet und ihr Ruhestandsdomizil in den Wäldern bezogen. Plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen, ringt sie mit dem Liebeskummer, der Untätigkeit und einer Identitätskrise: Nach allen Figuren, die sie gespielt hat, scheint sie sich selbst am wenigsten zu kennen. In Gesprächen mit der übermotivierten Nachbarin Shelly (Melora Walters) und ihrem Bruder Rick (Bob Einstein) sucht sie nach den Ursachen für ihre Depression.
Ich tue mich zugegebenermaßen schwer mit einem Urteil über „Shit Year“. Colleens inneres Ringen manifestiert sich im Film in impressionistischen Bildern und der eigentlichen Erzählung enthobenen Sequenzen, die in einem futuristischen, quasi-klinischen Institut spielen, in dem Colleen ihre Erinnerungen an den jugendlichen Liebhaber mit obskuren Mitteln wieder lebendig werden lässt. Wenn sich mir angesichts dieses Experimentalismus der Begriff „prätentiös“ aufdrängt, bekomme ich sofort ein schlechtes Gewissen und das ungute Gefühl, den Film nur nicht richtig verstanden zu haben.
Dass die durcheinander gewürfelten Sequenzen eine Atmosphäre schaffen sollen, verstehe ich sehr wohl, nur gelingt es mir nicht, diese Atmosphäre zu empfinden – um nicht zu sagen, dass es dem Film nicht gelingt, sie zu schaffen. Ist es zu sehr an Narration ausgerichtet, wenn ich beklage, dass mir eine Entwicklung des Charakters oder ihrer Problematik fehlt? Dabei kann ich Colleens Pein durchaus nachvollziehen, und in den Momenten, in denen wir sie im Gespräch mit der Nachbarin und ihrem Bruder sehen, in denen sie sich preisgibt, besteht die Möglichkeit, Empathie, Interesse für sie zu entwickeln. Sie berichtet von dem Tag, an dem sie entschied, Schauspielerin zu werden, und später davon, wie die Figuren, die sie spielte, niemals Freude empfanden. In diesen Mono- und Dialogen entsteht ein deutliches Bild von ihr, ihre Krise wird fassbar, einsehbar; Interesse regt sich daran, wie sie mit den gefundenen Erkenntnissen vielleicht einen Weg aus ihrer Krise findet. Doch dann wird sie mir wieder entrissen und ihre Menschlichkeit hinter Bilder gestellt, die ästhetisch ansprechend sind, mir aber über das Weiterkommen Colleens nichts sagen.
Alles in allem hat mich der Film hilflos und mit einem Gefühl des Bedauerns zurückgelassen. Die Protagonistin scheint am Ende keinen Deut weiter gekommen zu sein als sie zu Beginn war, und das Potenzial der Einsichten, die gewonnen wurden, bleibt unausgeschöpft. Ja, der Film schafft es wohl, den Zustand einer Lebensabschnittskrise ungefähr abzubilden. Nach- oder mitfühlen konnte ich jedoch nichts – stattdessen schien es mir, ich hätte den neurotischen Spiralen einer nicht wirklich gescheiterten Existenz zugehört, die mir nichts übrig lassen als zu sagen: Das geht schon wieder vorbei. So viel trifft dann auch auf den Film zu.
Shit Year, USA 2010, Regie: Cam Archer
Shit Year ist bei Edition Salzgeber erschienen.
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