DVD: Eraserhead

Von  //  10. April 2012  //  Tagged: , , , ,  //  5 Kommentare

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David Lynchs Regielaufbahn ist ungefähr so vorhersehbar verlaufen wie seine Filme. Auf das „typische“ künstlerische Debüt folgten ein beinahe altmodisch wirkendes Drama und schließlich großbudgetiertes Eventkino. Der Flop mit Letzterem hätte manchen jungen Filmemacher vor große Probleme gestellt, doch Lynch begann stattdessen den erfolgreichsten Abschnitt seiner Karriere, inszenierte in der Folge moderne Klassiker, und legte dann mit der Fernsehserie TWIN PEAKS den Grundstein für die konzeptionell und narrativ aufregenden Serienerfolge, mit denen sich das US-Fernsehen heute regelmäßig als ernstzunehmende Alternative zum Kino präsentiert. Dieser turbulente Karriereverlauf wurde endgültig gekrönt von LOST HIGHWAY: einem geradezu aufreizend bizarren und anstößigen Film, dessen Erfolg eng mit der Person Lynchs verknüpft ist: Von niemandem ließ sich auch das Mainstreampublikum lieber befremden als von ihm. Diese seine spezielle Qualität nannte es dann „lynchesk“ oder, besser noch, „lynchig“ – und spätestens wenn ein Name zum Attribut wird, ist Vorsicht angebracht. Und so scheint Lynchs Weg seitdem von dem Wunsch geprägt, die Möglichkeiten und Grenzen dessen auszuloten, was „lynchisches Filmemachen“, oder allgemeiner: „lynchische Kunst“, eigentlich ist.

ERASERHEAD, Ende der Siebzigerjahre in winziger Kopeinanzahl in Studentenkinos gestartet und von dort aus zum Kultfilm gereift, steht vordergründig fast idealtypisch für das Independent-Filmdebüt eines künstlerisch ambitionierten Regisseurs: dialogarm, schwarzweiß, ein Soundtrack aus maschinellem Dröhnen und Wummern, symbolträchtige Bildsprache. Es ist ein Film, der zur minutiösen Interpretation einlädt, weil sich jedes sei es auch noch so unwichtige Detail als Master Key erweisen könnte. Ein Film, an den man immer noch ein Stück näher ranzoomen kann, der dabei immer neue Hinweise offenbart. Die Frage, die sich hier, aber auch bei späteren Filmen Lynchs stellt: Kommt man seinem Bedeutungskern tatsächlich näher, wenn man auf die Werkzeuge der Hermeneutik zurückgreift? Wenn man zerlegt, was als homogenes kulturelles Artefakt vor einem liegt? So verstörend und fremd ERASERHEAD auch auf den ersten Blick wirkt: Er ist dabei doch vor allem auch sehr klar. Ein Film, dessen Bilder schon durch ihre unmittelbare emotionale Wirkung kaum noch Geheimnisse haben, die man mit den Mitteln des Verstandes entschlüsseln müsste. Lynch erzählt von dem verschüchterten jungen Mann Henry (Jack Nance), dessen flüchtige Liebschaft zu Mary (Charlotte Stewart) unerwartete Früchte getragen hat. Doch das Kind, das sie gemeinsam aufziehen sollen, ist eine groteske Missgeburt ohne menschliche Züge und stellt beide auf eine harte Probe. Als Henry von der entnervten und erschöpften Mary mit dem Kind allein gelassen wird, stürzt er in einen Strudel aus Träumen und Einbildungen. Thematisch würde sich Lynchs Film also auch im pädagogisch wertvollen Fernsehprogramm wohlfühlen, doch der Regisseur interessiert sich nicht für griffige Handlungsanweisungen, sondern eben vor allem für innere Vorgänge. ERASERHEAD, das ist der Blick in den Kopf des Mannes/des Menschen, der plötzlich versteht, dass er nicht mehr nur für sich lebt.

Wenn man seinen Schlafraum schon einmal mit einem Säugling geteilt hat, kommt einem Lynchs Film mithin gar nicht mehr so fremdartig, sondern im Gegenteil sogar sehr bekannt vor. Er behandelt eine sehr grundlegende menschliche Erfahrung, doch bedient er sich der Mittel des Traums und der Fantasie, um diese greifbar zu machen. Tatsächlich dürfte es nur wenige Filme geben, denen es ähnlich gut gelungen ist, die Logik und Ästhetik eines (Alb-)Traums in Filmbilder zu übersetzen: Da sind zum einen natürlich die Details der Setgestaltung, die spätindustrielle Endzeitszenarien, Fünfzigerjahre-Puritanismus und Film-Noir-Sexualität vereint, die dräuende Soundkulisse und die oft bizarren Anwandlungen seiner Figuren, vor allem aber diese erstarrt-lüsternen Blicke, ein pulsierender, sich beständig verengender und wieder weitender Fokus, der nicht mehr länger der Zeit unterworfen ist, die Relativität und Gleichzeitigkeit aller auch gegensätzlicher Emotionen, die einem das Fremde sehr vertraut machen, der harte Zusammenprall von Schuld, Scham und Liebe. Exemplarisch für diese emotionale Kontingenz des Films sei die Szene genannt, in der Mary beschließt, Henry und das Baby zu verlassen: Entnervt und unter Tränen steht sie aus dem gemeinsamen Bett auf, zieht sich an, erklärt sich gegenüber dem verdutzten Mann und macht sich dann plötzlich verzweifelt, aber beharrlich am Fußende des Bettes zu schaffen, zerrt daran herum, bringt es zum Wackeln und Quietschen. Je länger das dauert, umso neugieriger wird Henry, was Mary dort eigentlich macht, und umso verzweifelter wird sie über ihre Unfähigkeit. Es ist ein Moment, in dem nur das Warten möglich ist und der deshalb unendlich lang zu werden scheint. Dann kracht es kurz und endlich zieht Mary den Koffer hervor, der unter dem Bett eingeklemmt war. Das Komische und das Beängstigende liegen dicht zusammen in Lynchs Welt. Wahrscheinlich erinnert Henry deshalb an das uneheliche Kind einer gemeinsamen Liebschaft von Charlie Chaplin und Elsa Lanchester, Frankensteins Braut.

ERASERHEAD wird dieser Tage in Deutschland auf DVD und Blu-ray neu aufgelegt. Ein guter Anlass, diesen Film einer Neubetrachtung zu unterziehen, sich wieder einmal überraschen, verzaubern und verstören zu lassen. Und zu bemerken, dass Lynch in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten einen verdammt langen Weg zurückgelegt hat, um er selbst zu bleiben.

Eraserhead (David Lynch, USA 1977)


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Lebt in Düsseldorf, schaut Filme und schreibt drüber.

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5 Kommentare zu "DVD: Eraserhead"

  1. Oliver 12. April 2012 um 12:37 Uhr · Antworten

    @ alle

    Erstmal: Schön, dass euch der Text gefallen hat. Klassiker sind ja immer ein bisschen undankbar, weil es schon bergeweise Texte und Literatur gibt und es demzufolge nicht ganz leicht ist, noch etwas zu sagen, was nicht schon tausendmal gesagt wurde. Ich wollte ERASERHEAD ganz bewusst „unbedarft“ angehen, weil man bei der ganzen minutiösen Exegese, der Lynch-Filme unterzogen werden und worden sind, oft vergisst, dass die auch ganz direkt „funktionieren“. Und bei ERASERHEAD, der ja viele Marker trägt, die ihn als „Kunst“ ausweisen, finde ich das besonders auffällig.

  2. Thomas Hemsley 11. April 2012 um 00:21 Uhr · Antworten

    „So verstörend und fremd ERASERHEAD auch auf den ersten Blick wirkt: Er ist dabei doch vor allem auch sehr klar. Ein Film, dessen Bilder schon durch ihre unmittelbare emotionale Wirkung kaum noch Geheimnisse haben, die man mit den Mitteln des Verstandes entschlüsseln müsste.“
    Ich habs irgendwie nie geschafft den Film zu sehen, selbst während meiner „Lynch-Phase“ – aber ich glaube du hast da etwas formuliert, was auf Lynch-Filme allgemein zutrifft: Als ich LOST HIGHWAY damals im Kino gesehen habe (eines meiner besten Kinoerlebnisse – als Erlebnis), war ich verstört, „unterhalten“, fasziniert, und wusste überhaupt nicht worum es eigentlich ging, aber es machte alles irgendwie Sinn – da ich mich selten an meine Träume erinnere, möchte ich nicht von Traumlogik sprechen, also sprechen wir doch einfach von Lynch-Logik. Man versteht den Sinn nicht, aber man fühlt, dass es einen Sinn ergibt, vor allem macht es ja auch „cinematisch“ Sinn: Die Bilder, der Sound, die Musik (als Musik und als Sound) fügen sich zu einem „sinnvollen“ Ganzen.
    Aber vielleicht hat mich mein Patricia-Arquette-Crush auch einfach durcheinander gebracht;-)
    Grüße aus Kölle
    P.S.: Ich weiss nicht ob du DF „Vondemichdirdiesenlangenhiphopessayempfohlenhabe“ Wallace Essay über LOST HIGHWAY und Lynch gelesen hast – ist recht eigen, aber methinks ganz gut: http://www.lynchnet.com/lh/lhpremiere.html

  3. Intergalactic Ape-Man 10. April 2012 um 19:12 Uhr · Antworten

    Bei Capelight darf man dann wohl auch davon ausgehen, daß die eine Lizenz erworben haben, was bei den früheren deutschen DVDs ja offenbar nicht der Fall war. Ich besitze noch die US-DVD und überlege, ob ich ein Upgrade machen muß. Der Film ist ohne Frage faszinierend, aber man guckt ihn ja nicht alle Tage.
    Deine Worte lese ich ehrfürchtig, weil sich Eraserhead zu den Filmen zählen darf, bei denen ich anerkennend nicke, aber kaum ein Wort herausbekomme. Ein anderes Exemplar wäre z.B. Begotten. Manchmal kann man zu Filmen kaum mehr sagen als: „Ja!“

  4. vannorden 10. April 2012 um 18:07 Uhr · Antworten

    Danke. Mal kein Text, der in Ehrfurcht durch den Staub kricht und nicht drüber nachdenken will, weil er ein abstrakten Alptraum sei. Danke für die Herausstellung der einfachen Motive und die Betonung des Witzes. Wahrscheinlich einfach nur danke, dass ich mal nicht das Gefühl zu haben krank bis psychotisch zu sein, weil ich bei dem Film immer lachen muss. Sehr sogar :D

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