Chisum
Von Marco Siedelman // 6. April 2012 // Tagged: featured, Western // Keine Kommentare
John Chisum (Der Duke: John Wayne) hat es als Bürgerkriegsveteran und angesehener Großrancher zu einigem Erfolg im Leben gebracht. 1878 sind die Indianer besiegt, der Boden ist weitgehend verteilt, verheißungsvoll blickt man in eine friedvolle Zukunft. Die Morgendämmerung eines neuen Zeitalters grollt sichtbar aber noch in einiger Entfernung über dieser Zeit, in der Chisum der mächtigste Rinderbaron New Mexicos ist. Ein Mann, der seine Kämpfe gefochten hat und Frieden mit sich und der Welt schließen konnte – vielleicht deswegen kommt dem alten Junggesellen überall Wohlwollen und ehrlich gemeinter Respekt entgegen. Lediglich ein Nachbar Chisums, der gierige Lawrence Murphy (gespielt vom verdienstvollen Forrest Tucker) will sein Territorium auf Kosten anderer Farmer und Bürger vergrößern. Im Bund mit dem Gesetz gelingt ihm schrittweise die Monopolisierung der örtlichen Geschäfte und damit die Schröpfung der Einwohner eines kleinen Wüstenstädtchens. Chisum stellt sich und seine üppigen Mittel gegen diese Methoden und so kommt es zum historisch verbrieften Lincoln-County-Rinderkrieg, in dessen Unruhen auch Billy the Kid und Pat Garret Bekanntschaft machten. Beide tauchen in Chisum als Nebenfiguren auf, die allerdings erst den erzählerischen Motor der Handlung bilden.
Ein ungewöhnlich versöhnlicher später Western – nicht Spätwestern – von Ford-Schüler Andrew V. McLaglan, der zu einer Zeit gedreht wurde, in der John Wayne selbstreflexive Altersrollen zukamen, in der die großen Westernregisseure des Studiosystems entweder schon tot oder aber im Begriff waren, ihre letzten Filme zu realisieren, in der Apotheose und Abgesang bereits als abgeschlossen galten. Ein Film wie sein Regisseur: Hartes und solide verbautes Craftmanship zwischen den Kino-Epochen, nirgendwo so recht zugehörig, zerrieben und eher stiefmütterlich behandelt in der Filmgeschichtsschreibung, der Vergangenheit vielleicht einen Tick zu sehr verpflichtet und dennoch sehr erfolgreich mit dem, was er tat. Der in warmen Ölfarben gehaltene Vorspann zeigt uns ikonografische Bilder von der Eroberung des Westens, vom Schöpfungsmythos der USA, von klassischen Motiven, die bis heute fest mit dem Genrebegriff Western vernagelt sind.
Rauchende Colts, beherzt kämpfende Männer, weite Landschaften, die trotz ihrer Dürre und Menschenfeindlichkeit ein Gefühl von Weite, Abenteuer und Möglichkeit erahnen lassen, Siedlertrecks auf beschwerlichen Wegen, Viehherden, der Aufbruch in eine Zivilisation. Zum Ende der Credits geht die sicher nicht zufällig an Frederic Remington erinnernde Ästhetik der Illustrationen beinahe nahtlos über in eine üppige Technicolor-Komposition, die den gealterten Chisum zu Pferd, von einer Anhöhe aus, mit patriarchalisch-wehmütigem Blick über „sein“ Tal blicken lässt. Eigentlich steckt bereits der gesamte Film, der nicht zuletzt auch vom Übergang des Wilden Westens in einen Rechtsstaat erzählt, in dieser einzelnen Impression. Die zwingende Präzision von Dramaturgie und Kadrage, die Fords Western so unverwechselbar und überlebensgroß erscheinen lässt, geht hier zwar ab und alles was kommt, mag so vertraut wie bekannt oder sogar altbacken sein, weiß aber mit sicherer Hand die „Segnungen der Tradition“ (Bazin in einem Text über Boetticher) zu nutzen.
Trotz einigem Irritationspotential – erbaulich frohlockende Musik bei Erschießungen in Namen des Rechts, die zum naiven Ursprung des Western und der Unbeschwertheit seiner Singing Cowboys zurückführt, Ehrerbietung gegenüber Indianern, die als zähe und tapfere Kriegsgegner den uneingeschränkten Respekt Chisums genießen – ist McLaglans großartig bebildeter Film dem Regelwerk seines Genres zugewandt und damit auch ganz bei sich, völlig zufrieden und gesättigt. Chisum überfrachtet sich selbst nie mit dem Anspruch, einen genuinen Zugang zu finden sondern fühlt sich ganz den Traditionen der interpretativen Geschichtsschreibung John Fords zugehörig. Chisum selbst steht dabei mit seinem Einsatz gegen Großkapitalismus, Ausbeutung und Lynchjustiz natürlich für die Utopie eines moralisch sattelfesten Amerikas. Das einst schießwütige und reaktionäre Raubein lässt sich auch dann noch ins Gewissen reden wenn er schon zur Winchester greift – einen diplomatischen Hergang ist er zwar nicht gewohnt aber er lässt den feinen Gentleman mal machen, der aus der fernen Stadt kommt und die Politik einschalten will um das Problem zu lösen.
Noch bevor besagter Pazifist auf seinem Weg mit Kugeln durchlöchert wird, muss sich Chisum von einem alten Weggefährten und guten Freund sagen lassen, dass die Rechnung so nicht aufgehe. Er weiß, solch ein Konflikt will unter Männern ausgemacht werden, die lieber schießen als reden. So muss es letztlich enden. So verlangt es das Gesetz des Westens und des Westerns. Genau wie später von Billy the Kid und Pat Garret – doch dies ist eine andere, wenn auch aus dem selben Stamm geschnitzte, Geschichte.
USA 1970 / R: Andrew V. McLaglan
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