Der Geschmack der Kirsche
Von Silvia Szymanski // 5. März 2012 // Tagged: Iran // Keine Kommentare
Lange Fahrten im Auto mit dem Hauptdarsteller eines Films nerven mich überhaupt nicht, wenn der Hauptdarsteller jemand wie Vincent Gallo (in „Brown Bunny“) oder Homayoun Ershadi als Badii (in „Der Geschmack der Kirsche“) ist und die Gegend, durch die wir düsen, dieses öde, arrestierende Etwas hat. Am Stadtrand von Teheran zum Beispiel gibt es ein hoch gelegenes Gelände, wo sie einen Bodenschatz abbauen. Dort oben hält sich „Der Geschmack der Kirsche“ auf, bzw. kreist dort scheinbar ewig rum.
Ershadi/Badii sieht aus wie Johnny Cash, und würde jemand sich anmaßen, so einen Mann zu fragen, warum er nicht mehr leben will? Er will sich vergiften und in ein Erdloch legen und braucht nur jemanden, der nach seinem Tod ein paar Schaufeln Erde auf ihn wirft. Die Filmkritiken, die ich gelesen habe, vermuten religiöse Gründe dahinter, aber ich stelle mir vor, seine Mutter hat ihn als Kind immer zugedeckt, damit die Geier und Monster ihn nicht fressen, und so will er es auch am Ende halten.
Mit penetranter Beharrlichkeit versucht er, die ausgesucht interessanten Laiendarsteller, an denen er vorbeifährt, zu überreden, ihn mit Erde zuzudecken. Er umschreibt sein Ansinnen dabei aber so ausweichend, dass viele zuerst glauben, er mache ihnen einen unsittlichen Antrag („Es ist doch egal, was man arbeitet, Hauptsache, die Kohle stimmt, oder? Du brauchst nichts zu können, du brauchst nur deine Hände. Es geht schnell.“…) Es hat eine knappe, kaurismäkische Komik, wie das aus dem ernsten Mann mit der fix und fertigen Buster Keaton Miene kommt. Und es hat, besonders in der Szene mit dem schüchternen, jungen Soldaten (Ali Moradi), auch einen dringlichen, trocken-befangenen, pasolinischen Sexappeal.
Badii muss dauernd Angebote seiner Mitmenschen abwehren, mit ihnen Tee zu trinken, statt zu sterben. Oder dem Koran zu glauben. Das Leben auf bescheidene Weise wieder lieben zu lernen („Wie schön ist doch zum Beispiel der Geschmack der Kirsche“…) Ja ja. Es hilft ihm nicht. Am Ende legt er sich in die Erde, schaut den Mond an, es gewittert, es wird schwarz, es flackert noch mal, dann wird die Leinwand wirklich finster.
Irgendwie flog es mich an, darin eine thematische Verwandtschaft mit Lars von Triers „Melancholia“ zu sehen. Während Trier aber glänzend, wohlhabend, romantisch-hysterisch inszeniert, ist das hier simpel, karg, erdnah, knochig; ein unverputzter, staubiger Rohbau ohne Möbel. Kirsten Dunst spielt kunstvoll, Homayoun Ershadi atmet einfach ein und aus.
Nachdem das Bild lange schwarz war, sieht man das Filmteam noch mal unspektakulär am Drehort. Die Filmsoldaten rühren sich, der Tote steht auf. Das wäre ein Grund, sich doch noch nicht in die Kuhle zu legen: wenn alles – Tod, Soldaten, Psychokrisen, Predigten und auch lebenskluge Storys alter Männer – bloß ein Film wäre.
Iran 1997, Abbas Kiarostami
Der Geschmack der Kirsche (OmU)
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