Boxcar Bertha
Von Eckhard Heck // 14. März 2012 // // Keine Kommentare
Make it cheap and get that shit out the door. Roger Corman
Die Vereinigten Staaten zur Zeit der „great depression“, der großen Depression in den 1930er Jahren. Wie überall in den USA kämpfen die Werktätigen auch im Süden des Landes mit Hilfe der Gewerkschaften gegen die Macht der Großindustriellen und Konzerne. Zudem ist die Gesellschaft durch die faktisch noch existierende Rassentrennung gespalten. Vor diesem historischen Hintergrund spielt die Geschichte der „Boxcar“ Bertha Thompson. Bertha Thompson ist allerdings eine fiktive Figur, auch wenn der Titel der literarischen Vorlage (Sister of the Road: The Autobiography of Boxcar Bertha, Ben Reitman, 1937), etwas anderes impliziert. Produziert wurde Scorseses erste kommerzielle Arbeit als Regisseur von Roger Cormans New World Pictures. Das Ergebnis ist das zu Erwartende. „Make it cheap and get that shit out the door“ ist das, wofür Corman Produktionen der frühen 1970er Jahre standen, und so lernt Scorsese mit Boxcar Bertha knallhart wie man ein Budget und einen Drehplan einhält, als er den Film in nur 24 Tagen für 600.000 Dollar „abreißt“. Seine eigene, ambitioniertere Vision wird er erst mit Mean Streets, seinem nächsten Film, verwirklichen. Dennoch erfindet sich der Regisseur Scorsese in den besten Szenen von Boxcar Bertha, der darüber hinaus nicht weniger als schmutziges, schnelles Corman Kino im besten Sinne ist.
Nach einer kurzen Vorgeschichte zieht ein erdiger, treibender Blues-Score, mit dem der eigentliche Vorspann unterlegt ist, den Zuschauer mit Macht in den Film hinein. In Barbara Hershey (als Bertha Thompson) ist man nach zwei Einstellungen hoffnungslos verknallt und würde mit ihr in einem Güterwagen bis ans Ende der Welt fahren. Dank dieser Prämisse funktioniert die nach dem Bonnie & Clyde Prinzip aufgebaute Geschichte – auch über diverse Längen hinweg – ziemlich gut. David Carradines etwas selbstgefällige Darstellung des aufmüpfigen Gewerkschaftlers Big Bill Shelly ändert daran zum Glück wenig. Auch als Berthas Liebhaber bleibt er recht blass. Was soll man sagen? Der Mann war zu der Zeit tatsächlich mit Hershey verbandelt und brauchte niemand etwas zu beweisen. Die Nebenrollen (Barry Primus als windiger Yankee und Barnie Casey als Repräsentant der schwarzen Minderheit, Shellys Buddy und Berthas Chaperon) sind stark besetzt. Die vier bilden so etwas wie eine Notgemeinschaft, angeführt von Shelly, der als Gewerkschaftler gegen den Boss einer Eisenbahngesellschaft rebelliert.
Im Stil eines Road-Movies (nur eben auf der „Schiene“) hängt sich Boxcar Bertha im Folgenden an seine Charaktere, die es aufgrund der Ereignisse in einen Strudel aus Gewalt und Verbrechen zieht. Während vor allem Shelly sich immer noch auf der Seite der „gerechten Sache“ wähnt und schwer mit seinem Gewissen ringt, findet Bertha einen geradezu naiven Gefallen am Spiel mit der Gewalt. Die Überfälle des Quartetts werden schließlich immer dreister und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihren skrupellosen Häschern in die Hände fallen. Hier holt das Drehbuch noch einmal tief Luft und lässt Bertha vorübergehend in einem zweifelhaften Etablissement Unterschlupf finden, um dann zum großen Halali (selten war der Ausdruck treffender als hier) zu blasen. Die letzten Minuten von Boxcar Bertha haben es in sich. Wer sich bis dahin bereits damit arrangiert hatte, dass die für einen von Corman produzierten, obligatorischen Nude Shots (von Hershey) wohl doch die Highlights des Films gewesen sein könnten, den drückt es jetzt noch mal so richtig tief in den Kinosessel.
Boxcar Bertha (Die Faust der Rebellen), USA 1972, Regie: Martin Scorsese
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