Jud Süss
Von Silvia Szymanski // 25. Februar 2012 // Tagged: Deutsches Kino, Historienfilm, Veit Harlan // Keine Kommentare
Wieder dieses alte deutsche Märchenreich, und all die guten Leute in den romantischen Bilderbuchgassen, alles strahlt: Söderbaum, sexy wie ein denkgestörtes Milchmädel. Der arisch „edle“ Feuerkopf Faber. Der joviale, lebenslustige Herzog. Es ist eine helle, goldene Operette, ein nostalgisches Rokoko-Puppentheater.
Das Viertel der Juden hingegen: eng, dunkel, arm, verkommen. Karikaturistische, orientalische Klagegesänge, es riecht nach Kraut und Knoblauch, die Leute hängen als verschlagene „Gestalten“ in den Fenstern, kauderwelschend, schräg, geil und gerissen. So in der Art werden heute Leute von Sarazzin & Co. wahrgenommen.
Auch sonst sind, wie schon bei „Kolberg“, die Konstruktionen der Probleme und Figuren den heutigen verblüffend ähnlich. Jud Süß Oppenheim (Ferdinand Marian) ist ein eloquenter, weltgewandter, vielschichtiger und archetypischer Don Juan mit einer Mimik und Körpersprache ziemlich wie Michel Friedmann und einer Rolle im wahrgenommenen Gesellschaftsspiel ziemlich wie Ron Sommer oder kurzzeitig Heinz Berggruen. Oppenheim beschafft das Geld für den Herzog (Heinrich George), der seine Stadt durch ein Ballet und sein Privatleben durch dessen Tänzerinnen „aufwerten“ will. Dafür will Oppenheim als Politikberater/Kapitalbeschaffer/Privatisierer die Herrschaft über Stuttgarts Straßen. Er erhebt Mautgebühren, ordnet Hausabrisse an. Es folgt eine Kette von Fallbeispielen, um Oppenheims herzlose Durchtriebenheit zu belegen. Okay, so ist die Welt manchmal ja, könnte man denken, wenn man dem Film denn so weit folgen will; es gibt Machtstreben, bei Leuten jeglicher Herkunft, und wenn man dem gesetzlich Grenzen setzt, kann man zufrieden sein. Aber der Film will viel, viel mehr und anderes als Grenzen und Gesetze, die für alle gelten. Er will, dass Oppenheim stirbt. Sein Hass wurzelt nicht im Politischen oder Rationalen.
Wie der glühende, junge, rechtsradikale Schöngeist Faber ihn schon anpampt, als er nur durch die Tür kommt. Da hat Oppenheim noch gar nichts gemacht, er ist einfach nur der „Hofjude“ des Herzogs und neu in der Stadt. Oppenheim wird sich die Kränkung merken und seine Macht benutzen, um sich für die Diskriminierungen, auch im Namen seiner jüdischen Freunde, zu rächen. Der Film legt diese Gefühle und Gedankengänge offen und lässt einem Oppenheim so – der Absicht des Regisseurs und seiner Auftraggeber seltsam zuwiderlaufend – eindeutig sympathisch werden. Okay, Oppenheim „spielt mit dem Geld, an dem der Schweiß der armen Leute klebt“, er finanziert „den Krieg des Herzogs gegen sein eigenes Volk“ (die Formulierung hat sich auch bis in die heutigen Nachrichtensendungen gehalten). Aber er ist bei weitem der nachvollziehbarste, gedankenreichste und interessanteste Typ in dem engen und an menschenähnlichen Figuren armen Film, und man würde sich jetzt auch nicht unbedingt ersäufen, wenn man mit ihm schlafen müsste.
Wie seltsam, was Harlan seine Frau Kristina Söderbaum da immer spielen machte, wie er sie immer wieder groschenromandramatisch und verklemmt genüsslich vergewaltigt werden, ins Gefängnis kommen, leiden und sterben ließ. Das fesselte ihn offensichtlich, aber auch das Publikum. In „Jud Süß“ stellt sich Harlan für sein weibliches Alter Ego einen vom „Juden“ für den Herzog organisierten „Fleischmarkt“, einen Ball im Schloss vor, wo die arme, junge Regisseursgattin wider Willen hin muss und von dem dämonisch glitzernden Oppenheim in die Enge getrieben und gierig umschwänzelt wird. „Der Jude hat die Hand auf allem, auch den Frauen und den Töchtern“, heißt es dazu, „neben dem Teufel hat der Christ keinen schlimmeren Feind“ und „meine Tochter wird keine Judenkinder (heute: Kopftuchmädchen) in die Welt setzen!“
Auf die Sache mit der Sexualität und der Vermehrung spitzt sich die Handlung bezeichnenderweise zu. Oppenheims Geschäfte mit dem Herzog sind legal, deswegen können sie ihn nicht hängen. Aber unser Mädel hat sich ihm unter Weinkrämpfen und atemlosen Stoßgebeten sexuell zur Verfügung gestellt, damit er ihren Verlobten aus der Folterhaft entlässt – eine aufpeitschende, vielseitig fetzende Szene, die die zahlreichen Kinobesucher damals nicht unbeträchtlich erregt und einige Sitzreihen zum Wackeln gebracht haben wird. Danach bringt sich das Mädchen pflichtschuldig um, weil sonst die Welt ja untergeht. Und irgendwo in einem Gesetzbuch, das groß und wie von Jupiter persönlich zitiert wird, steht: „Wo sich aber ein Jude mit einer Christin fleischlich vermengt, soll er durch den Strang zu Tode kommen“. Das ist es, wofür sie ihn letztlich, wie vom Lynchmob gefordert, hängen. Auch der Obszönitäts- bzw. Vergewaltigungsvorwurf gegenüber politischen Juden kommt einem bekannt vor.
„Ich gebe euch alles, was ich habe, aber lasst mir mein Leben“, fleht Oppenheim vor Gericht, noch immer an die Überzeugungskraft von Argumenten, Gesetzen und Appellen glaubend, „ich habe nur getan, was mein Herrscher mir sagte. Ich bin nichts gewesen als ein treuer Diener von meinem Souverän.“ Harlan argumentierte ironischerweise nach dem Krieg ganz ähnlich, als er sich für seine Filme verantworten musste. Was Oppenheims Leben nicht hatte retten können, rettete eine faschistische Künstlerkarriere.
Deutschland 1940, Regie: Veit Harlan
Hard Sensations planen, „Jud Süss“ in Zusammenarbeit mit dem Apollo Kino und der Friedrich-Murnau-Stiftung im Aachener „Capitol“ zu zeigen, mit einer wissenschaftlichen Einführung in den „Vorbehaltsfilm“ der Nazizeit. (Vorbehaltsfilme sind Filme mit propagandistisch nationalsozialistischem Gedankengut, die in Deutschland aus leicht verständlichen Gründen nicht ohne eine erklärende Rahmenveranstaltung gezeigt werden dürfen.) Meine Besprechung ist in diesem Rahmen zu verstehen. Der zunächst geplante Termin musste verschoben werden. Den neuen Termin werden wir rechtzeitig auf unserer Seite bekannt geben.