DVD: Der Leichenverbrenner
Von Alex Klotz // 27. Dezember 2011 // Tagged: featured, Tschechische Neue Welle, Tschechisches Kino // 3 Kommentare
Karl Kopfrkingl arbeitet im Krematorium und ist von seiner Arbeit vollkommen überzeugt. Schließlich ermöglicht die Einäscherung es der menschlichen Seele, in nur 75 Minuten ins Himmelreich zu kommen, während es bei konventionellen Bestattungen ewig dauert, bis der Körper ausreichend verrottet ist. Kopfrkringl sieht sich als guter Tscheche, als jedoch die Nazis vor den Toren Prags stehen, zögert er nicht lange, seine Dienste anzubieten. Ein Problem ist dabei jedoch seine Frau, die halb Jüdin ist…
An diesem Film ist einfach alles großartig: Die Kamera, der Schnitt, die Musik, die Darsteller, die Monologe, und erst die Kadrierung! Jede Einstellung ist ein verdammtes Gemälde, wobei die Komposition oft auch tatsächlich Gemälde der Verdammten einbezieht.
Ist DER LEICHENVERBRENNER ein Horrorfilm, eine politische Parabel, ein Psycho-Thriller oder eine Komödie? Der Humor ist jedenfalls so schwarz, daß er von manchen Zuschauern nicht als solcher wahrgenommen wird. Es ist kein Wunder, daß ich von diesem Film zum ersten Mal in Amos Poes Film als subversive Kunst gelesen habe, er ist gleich auf mehreren Ebenen subversiv:
a) Das „Monster“ Kopfrkringl ist in der skurrilen Darstellung eine Karikatur seiner selbst. Er ist aber so „echt“, daß man ständig zwischen Komik und Grauen hin- und hergerissen wird. Es ist nahezu unmöglich für den Zuschauer, sich von diesem Film „nur unterhalten“ zu lassen.
b) Stilistisch werden alle Avantgarde-Register gezogen: Schnelle Schnitte, verstörende Inserts, unrealistische Kameraperspektiven und Szenenübergänge, die den „unsichtbaren Schnitt“ Hollywoods veräppeln.
c) Nicht zuletzt: Stellt der Film auch ein vergangenes Regime dar, so sind seine Kern-Aussagen allgemeingültig und können ohne weiteres auch auf bestehende Regimes angewendet werden – weswegen der Film in seinem Herkunftsland auch bald verboten wurde.
Es ist eine Schande, daß Regisseur Juraj Herz immer noch so stiefmütterlich behandelt wird. DER LEICHENVERBRENNER dürfte sein „wichtigster“ Film sein, doch auch später hat er – trotz der hier im hilfreichen Bonusmaterial erwähnten Schwierigkeiten und Restriktionen – noch zahlreiche bemerkenswerte Filme gemacht: Der Vorspann von MORGIANA (1973) ist so subversiv, daß er selbst den Zensoren nicht auffiel und eine Alexander Grin-Verfilmung, deren Stil an italienische Horrorfilme erinnert, ist freilich immer zu begrüßen. Seine Version von DIE SCHÖNE UND DAS BIEST, PANNA A NETVOR (1978), die in Deutschland bizarrerweise mit dem Titel „DIE TWILIGHT ZONE“ auf VHS erschien, ist freilich nicht ganz so wunderschön und zeitlos wie die Cocteau-Version, kann sich aber auch durchaus sehen lassen. DER AUTOVAMPIR (1982) ist eine feine Genre-Persiflage mit treffender Sozialkritik und sein neuester Horrorfilm T.M.A. (2009) verspricht auch einiges, ist aber bislang außerhalb Tschechiens noch nirgendwo erschienen. Sauerei!
In einem früheren Review des Films habe ich die Figur des Kopfrkringl mit einer Mischung aus dem „Untertan“ Diederich Heßling und Fritz Haarmann verglichen – das ist zwar nicht ganz verkehrt, aber abgesehen davon, daß ich für die Vermischung von fiktiven und realen Personen eingeäschert gehöre, auch etwas unfair, denn diese vom Autor der literarischen Vorlage Ladislav Fuks geschaffene Figur des psychotischen Mörder-Mitläufers ist schon ziemlich einzigartig. Sie ist es auch, die den Film von anderen Filmen zur Thematik drittes Reich abhebt, welche sich explizit auf die Extremsituationen dieses historischen Moments beziehen – denn Menschen, die wie Kopfrkringl ohne Rücksicht auf Verluste nur auf ihren eigenen Vorteil schauen, gibt es immer noch und wird es wohl immer geben.
Zur DVD: Wie bei allen bisherigen Veröffentlichungen, lassen BILDSTÖRUNG hier nichts zu wünschen übrig. Bild und Ton sind hervorragend, und neben einem äußerst ansprechenden Design bekommt man auch eine Menge Bonusmaterial geboten: Ein 40seitiges Booklet mit einem Aufsatz von Adam Schofield und einem höchst interessanten, ausführlichen Interview mit dem Regisseur, ein 30minütiges Feature, in welchem der Regisseur die ehemaligen Drehorte besucht, ein Video-Interview über das alternative Ende und last but not least einen auf Deutsch gesprochenen Audiokommentar von Juraj Herz. Absoluter Pflichtkauf, wenn ihr mich fragt.
Spalovač mrtvol, CSSR 1969, Regie: Juraj Herz
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3 Kommentare zu "DVD: Der Leichenverbrenner"
Höchst erfreulich,daß sich Bildstörung des Filmes angenommen hat. Auch wenn Second Run den schon seit Jahren im Programm hat. Aber wir wissen ja, daß man in Deutschland ungern Untertitel liest. :)
Herz meinte übrigens, daß er so fasziniert von der ersten FishEye-Linse im tschechoslowakischen Raum war, daß er ihren Einsatz über Gebühr strapaziert hat. Das sehe ich nicht so, weil dies erst die psychotische Weltverkennung erzeugt.
Und wenn wir gerade dabei sind – sein bei Second Run erschienener Morgiana ist ebenso Pflichtkauf. Ein Märchen der Extraklasse. Herz beschwert sich über die amerikanischen Zuschauer, weil sie nicht erkannt hätten, daß beide Schwestern dieselbe Person sind. Ist mir auch erst im Nachhinein aufgefallen. Ein weiterer Pluspunkt für den Film, würde ich sagen.
Im Bezug auf die U-Titel muss ich dich enttäuschen. Haut mich, wenn ich irre, aber die Version ist OmU. Und man muss den Film aufgrund der umfangreichen Dialoge schon 2 bis 3 mal anschauen, um alles mitbekommen zu haben und sich dann auf den „Film“ konzentrieren zu können.
Im Bonusmaterial geht Herz auf die FishEye Optik noch mal ausführlich ein. Um den Zuschauer nicht zu sehr vor den Kopf zu stoßen, hat er am Anfang eine Einstellung in einen Verzerrspiegel (wie man den von unübersichtlichen Kreuzungen kennt) gedreht, damit der Betrachter sich schon mal an die Perspektive gewöhnt :)
Hallo Critic, schön von dir zu lesen! :)
Ja, ich vergaß zu erwähnen, daß auf der DVD keine Synchro enthalten ist. Stelle es mir aber auch äußerst schwierig vor, die Kopfrkringl-Monologe zu übertragen. Von MORGIANA würde ich gerne mal die literarische Vorlage lesen, da ich Alexander Grin sehr mag (sehr empfehlenswert auch die jugoslawische Adaption DER RATTENGOTT), aber den Text scheint es leider nicht in deutscher Übersetzung zu geben.