XX
Von Silvia Szymanski // 22. Oktober 2011 // Tagged: Endzeit, Porno, Queer // Keine Kommentare
In einem unterwohnten Haus in New York schleppt eine Frau namens XX eine in einen Müllbeutel geschnürte Leiche die Treppe rauf. Die Frau ist gestylt wie die Punkversion einer Hexe auf einem alten Gemälde. Sie spricht flüssig und wortreich den ersten ihrer vielen, langen, misanthropisch- poetischen Monologe gegen die Welt. Manchmal redet auch blechern und hysterisch die sich überschlagende Stimme eines Kobolds aus ihrem Inneren. Die Leiche lässt sie oben liegen, auf dem Dach, vor der atemberaubend imperialistischen Aussicht auf Manhattan. Dort setzt sie sich wackelig aufs Geländer, eine Karikatur der berühmten, avedonartigen Star-Pose und schreit lautlos wie ein gequälter Dämon von der Fassade einer Kathedrale.
In ihrem Zimmer guckt sie harte Schwulenpornos und wixt verkrampft dazu. Die Pornos und XXs Phantasien erzählen und zeigen die Geschichten von Männern, die so geil und tödlich sehnsüchtig sind, sich absichtlich ungeschützt von HIV-Infizierten ficken zu lassen. Sie wollen etwas ultimativ Existenzielles erleben, durch extremen Sex den Selbsterhaltungstrieb ausschalten, ihre Identität, dieses Bündel aus Ängsten, durch Ekstase und Aufopferung loswerden, wie in Kriegen. Diese Hingabe ist wie eine sehr dunkle Variante romantischer Liebe. Doch das sind meine Gedanken. Der Film stellt es eigentlich nur hart und abgründig dar.
Da sieht XX einen jungen Mann aus der Punkszene sich im Treppenhaus mit einem Paket die Treppe hinaufmühen und lädt ihn ein, „bei ihr auszuruhen“. Der Junge, angeblich ein umoperiertes Mädchen, geht ohne Zögern auf ihr Locken ein, mit einem schönen, unbekümmert amüsierten Lachen. XX fantasiert, es bestehe eine unsichtbare emotionale Verbindung zwischen ihrem und seinem Hintern. Am Ende sieht man die beiden einen Dildo benutzen, der als Verbindungskabel in ihrem und in seinem Po steckt. Was sie nicht davon abhält, ihm unterdessen einen langen Vortrag über den desolaten Zustand New Yorks zu halten, er nimmt es mit Humor und macht ein bisschen mit.
Beide geben die Schuld am Schmerz und der Last ihres Lebens besonders der Stadt und dem trügerischen Traum New York und prangern an, wie die Obrigkeit ihrer Traumstadt unerwünschte Bewohner im Zuge der „Säuberung“/Gentrifizierung auf den Müll wirft. Am Ende befreit sich die Leiche auf dem Dach aus ihrem Müllsack, vor der Kulisse des Feuerwerks zum 4. Juli, und ist identisch mit XX.
Verows Punk-Expressionismus möchte sichtlich nicht dazu gehören, gefallen, beeindrucken. Wenn man sich an das Schockierende, das Zelebrieren von Hässlichkeit und Pisse, die HIV-Scheißegal-Haltung gewöhnt, kann man den Film als Sittengemälde sehen, als Studie Erniedrigter und Beleidigter. Und sich mit seinen Personen, wie Rimbaud in „Zeit in der Hölle“, wundern, dass das „immer noch das Leben“ ist.
USA/Deutschland 2007, Regie: Todd Verow