Bijou

Von  //  3. Oktober 2011  //  Tagged: , , ,  //  1 Kommentar

Im umtriebigen Rhythmus eines heroisch aufstachelnd klingenden Sinfonieorchesters treibt es in New York drei Menschen nichts ahnend aufeinander zu: eine wohlgemute Frau auf eilig hohen Schuhen – einen Bauarbeiter auf dem Weg nach Hause – einen Mercedesfahrer, der, als ihm die grandiose Musik zu viel wird, im Radio etwas anderes sucht. Sein Auto erfasst die Frau, ihre Handtasche wird hoch geschleudert und landet vor dem Bauarbeiter, der sie mit nach Hause nimmt.

Daheim in seiner engen Kammer durchsucht er sie gelassen. Rosenkranz, ein Lippenstift, an dem er leckt – und eine Eintrittskarte in den Club „Bijou“. In seinem Transistorradio laufen Led Zeppelin, zu deren heftig emotionalem Flehen er versonnen wixt. Sein Penis ist lang und fleischig, und der Mann strahlt müde Würde und eine äußerst flach gehaltene Sehnsucht aus, die einen ziemlich für ihn einnehmen kann. Im Radio laufen nun die Nachrichten, etwas über Kissinger und Nixon, und dieser Geistesverwandte des „Steppenwolf“ beschließt, in den Club „Bijou“ zu gehen.

Die Alte an der Kasse lässt ihn ein in eine dunkle, kinoartige, undefinierte Räumlichkeit mit farbigem Licht, seltsamen Skulpturen und gleitenden, optischen Effekten. Er geht verwundert weiter und findet sich in Diashows und experimentellen, pornographischen Filmvorführungen wieder. Und begegnet einem nackten Mann, mit dem er Sex hat, es kommen immer mehr hinzu und ordnen sich spiegelsymmetrisch zu einem im tiefen Schwarz schwimmenden, kaleidoskopisch orgastischen Ornament. Die Frau, der die Handtasche gehörte, taucht als Bild in ihrem surrealen Zentrum auf. Die Musik dazu ist avantgardistisch, erinnert manchmal aber auch an Debussy. L´après-midi d`un Faune, jedenfalls würde der Titel hier gut passen.

Es gibt keine gesprochenen Worte und keine eigentlichen Rollen. Der Hauptdarsteller wirkt in sich gekehrt und völlig frei. Am Ende tritt er aus dem Club auf die Straße in das natürliche Licht und schenkt der Kamera ein flüchtiges Lächeln, das sie als Schlussbild einfriert.

Ein Film mit ungewöhnlich lange anhaltenden Basisnoten, an den man lange denkt, besonders an die dynamische Anfangssequenz und den aufregend einsamen Mann in der kargen Bude. Poole macht das schön, dieses subtile Einfangen scheuer Vergänglichkeit. Alles wirkt offen, sichtbar, aber man versteht es eigentlich doch überhaupt nicht, und dann verschwindet es.

Bijou, USA 1972. Regie: Wakefield Poole. Mit Bill Harrison.

Hier findet sich unser Interview mit dem inzwischen 75-jährigen Wakefield Poole.

Anmerkung: Die von Jim Tushinski in Zusammenarbeit mit Wakefield Poole besorgte Restaurierung lässt den Film in ursprünglichem Glanz erstrahlen. Auf gewöhnlichem Weg ist die DVD allerdings nicht käuflich – sie wird als Präsent gegen eine Spende ausgeliefert, die zur Fertigstellung der Dokumentation Dirty Poole beiträgt. > https://dirtypoole.com/index.php/donate/donor-gifts

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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Ein Kommentar zu "Bijou"

  1. jochen 28. Juni 2014 um 17:19 Uhr · Antworten

    Eine Ländercode-freie DVD dieses wunderbaren Streifens gibt es mittlerweile von dem US-Label „Vinegar Syndrome“, die ja auch bereits den nicht minder empfehlenswerten und ein Jahr zuvor entstandenen „Boys in the Sand“ veröffentlicht haben.

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