Über uns das All
Von Eckhard Heck // 6. September 2011 // Tagged: Deutsches Kino, Interview // 1 Kommentar
Über uns das All läuft auch ab dem 15. September zum Bundestart auch im Aachener Apollo Kino.
Martha und Paul Sabel führen ein eingespieltes, aber mitnichten eingefahrenes Leben als junges Ehepaar in Köln. Privat und beruflich steht bei den beiden alles zum Besten. Das muss wohl Liebe sein. Paul hat gerade seine Dissertation eingereicht und Martha arbeitet als Englischlehrerin. Als es mit dem Doktortitel schließlich wirklich klappt, nimmt Paul, auf Marthas Drängen hin, eine Stelle in Marseille an. Der Tag der Abreise ist da. Paul soll alleine vorfahren und Martha wird ihm eine Woche später folgen, so denkt sie. Subtile Andeutungen der Katastrophe, die sich ereignen wird, nimmt sie nicht ernst und packt Umzugskartons für den Aufbruch in das neue, gemeinsame Abenteuer. Erst als am nächsten Tag zwei Polizistinnen vor ihrer Tür stehen und ihr die Nachricht von Pauls Selbstmord auf einem Parkplatz bei Marseille überbringen, zerbricht ihre heile Welt schlagartig. Schnell, viel zu schnell für Martha um alles zu begreifen, stellt sich nun heraus, dass sie nichts von Paul wusste. Der hat gar keine Doktorarbeit geschrieben, sondern nur ein Plagiat hinterlassen und war seit vier Jahren nicht einmal mehr an der Uni eingeschrieben. Plötzlich scheinen alle Spuren zu dem Mann, den sie so gut zu kennen glaubte, verwischt zu sein. Hat Paul ein Doppelleben geführt? Martha muss mit Verlust und Zweifel zugleich zurecht kommen.
Bis zu diesem Zeitpunkt funktioniert Über uns das All wie ein geschickt gestrickter Krimi mit überzeugender Exposition. Während sich nun die hochspannende Frage aufdrängt, wie es mit der rätselhaften Geschichte um Paul und Martha weitergeht, nimmt das Drehbuch beherzt Anlauf und springt auf eine gänzlich neue Ebene. Martha, immer noch „auf der Suche“ nach Paul lernt einen neuen Mann kennen und der scheint auf seltsam symbiotische Art der ideale Ersatz für Paul zu sein. Die Geschichte wächst sich zum psychologischen Drama aus.
Es wird nicht der letzte Haken sein, den der Film schlägt, doch Jan Schomburg erhebt das Vexierspiel nicht zum eigennützigen, formalen Prinzip. Die präzisen Dialoge und penibel beobachteten Charaktere machen die Geschichte zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar. Die hoffnungsvolle Bestimmung, die Schomburg am Ende anbietet, empfinde ich persönlich als unnötiges Zugeständnis. Gerade von dem mit viel Liebe zum Detail konstruierten Schwebezustand der Gefühle und Wünsche erhofft man sich, dass er eben nicht aufgelöst, sondern bestehen bleiben und über den Film hinaus wirken möge. Möglicherweise lassen aber auch die letzten Einstellungen des Films eine offene Deutung zu und ich habe das in meiner Gier nach expliziter Unbequemlichkeit und in Ablehnung jeglichen Harmoniebedürfnisses lediglich „überlesen“.
Sowohl die Leistung von Sandra Hüller als Martha, als auch die des interessant in Szene gesetzten Georg Friedrich (als Marthas neuer Partner Alexander), sind überwiegend gut und schwächeln nur dann, wenn die Regie zu träge wird und ihren Hauptfiguren zuviel aufbürdet. Auch einige Nebenrollen leiden sichtbar unter zu langen Einstellungen. Über uns das All ist aber nichtsdestoweniger ein über weite Strecken fesselnder und im besten Sinne unberechenbarer Debutfilm.
Deutschland 2011, Regie: Jan Schomburg
Vier Fragen an Jan Schomburg
Hard Sensations: Lieber Jan Schomburg. Trifft es zu, dass das Ende des Films eine ziemlich ad hoc positivistische Wendung darstellt, oder habe ich einen entscheidenden Hinweis darauf übersehen, dass wir es möglicherweise auch mir einer reinen Illusion zu tun haben könnten?
Jan Schomburg: Die Publikumsreaktionen lassen keinen eindeutigen Schluss zu: Manche empfinden das Ende als beinahe übertrieben optimistisch, andere sind der Ansicht, es sei sehr pessimistisch, und wieder andere empfinden es als unzuverlässiges Happy End. Ich hoffe natürlich, dass das Ende vielleicht wirklich mehrere Dinge zugleich ist; bzw. ein Ding, dass sich verändert, je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet.
HS: Die Geschichte um den plötzlichen und unerklärlichen Suizid des Ehepartners legt einen Vergleich mit François Ozons „Unter dem Sand“ nahe, der auch von einigen Rezensenten bemüht wird. Ich sträube ich gegen den Vergleich, ohne genau erklären zu können warum. Wie denken Sie darüber?
JS: Die Frage ist interessant, denn mir geht es genauso. Tatsächlich gibt es viele Elemente, die sich ähneln in den Filmen: nicht nur der Tod des Geliebten, auch das Akademikermilieu und die Realitätskonstruktion der weiblichen Hauptfigur. Ich kann nicht mal garantieren, dass ich beim Schreiben nicht unbewusst Ozon beeinflusst worden bin, denn als ich den Film vor Jahren gesehen habe, hat er mich tatsächlich sehr fasziniert; überhaupt bin ich ein großer Bewunderer von Ozon. Als ich Unter dem Sand aber nun kurz vor den Dreharbeiten noch mal angesehen habe, war er mir seltsamerweise irgendwie fremd geworden. Ich glaube, dass der Hauptunterschied zwischen den beiden Filmen darin liegt, dass Ozon mit einer sehr klaren fantastischen Setzung arbeitet: Wir Zuschauer wissen sehr schnell, dass der Ehemann nicht mehr da ist und Charlotte Rampling ihn sich einbildet. Diese klare Setzung zwingt einen fast zu einer pathologisierenden Sichtweise auf die Hauptfigur und schafft so auch eine gewisse Distanz zu ihr. Martha schafft sich in Über uns das All ja ebenfalls ihre eigene Realität, aber es gibt keinen eindeutigen Hinweis, was „wahr“ ist und was „falsch“ und diese Fragestellung steht im Gegensatz zu Unter dem Sand auch gar nicht im Zentrum des Films. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht wahrscheinlich darin, dass Ozon konsequent in der Perspektive seiner Hauptfigur bleibt, während Über uns das All ab der Hälfte des Films die Erzählperspektive wechselt.
HS: Ich finde Sie haben in Über uns das All eine schöne Mischung aus ästhetisierender Bildsprache und direkten, ungekünstelten Dialogen gefunden, die mir in dieser Form zuletzt beispielsweise bei Wolfgang Petersens Einer von uns beiden begegnete. Besteht Hoffnung für den deutschen Genrefilm jenseits der Komödie?
JS: Zunächst hoffe ich, dass es eine Hoffnung für die deutsche Komödie gibt abseits dem restaurativen Wiederkäuen kleinbürgerlicher Geschlechterverhältnisse aus den 50er Jahren, angesichts derer einem die Komödien aus den 90ern ja fast schon libertinär vorkommen wollen. Ich weiß gar nicht, ob ich ansonsten unbedingt Hoffnung für den deutschen Genrefilm haben will, also welches Genre ich im deutschen Kino vermisse. Mir persönlich ist der Autorenfilm näher als das Genrekino, insbesondere wenn das Genrekino ängstlich zu beiden Seiten schielt, ob auch bloß alles teuer genug aussieht und mit den amerikanischen Vorbildern mithalten kann. Ich glaube, dass für das deutsche Genrekino nur dann Hoffnung besteht, wenn es sehr selbstbewusst mit seinen Begrenzungen und den regionalen Eigenheiten umgeht.
HS: Eine der stärksten Szenen von Sandra Hüller ist die, in der sie nach dem Telefonat mit dem Finder von Pauls Handy mit Alexander streitet und dann für einen langen Moment, in dem die Kamera auf ihrem Gesicht verweilt und Georg Friedrich aus dem Bildausschnitt zurückweicht, ganz wortlos vor Zorn und Verzweiflung ist. Steht das genau so im Drehbuch, oder ist das eine zum Teil intuitiv entstandene Einstellung?
JS: Gerade wollte ich schreiben, dass dieser Moment nicht so im Drehbuch steht, aber dann wollte ich es doch noch mal wissen und habe es nachgelesen. Im Drehbuch heißt es:
Alexander hält plötzlich Marthas Arme fest.
ALEXANDER:
(laut) Sag mir, was mit diesem Paul los ist! Wer ist das? Und was ist mit dem verdammten Hemd?Stillstand. Martha starrt ihn an. Kann nichts sagen. Alexander zieht das Hemd ganz aus und steht mit nacktem Oberkörper da. Er reicht Martha das Hemd. Martha nimmt es zitternd. Dann dreht Alexander sich um und geht. Als er sich umsieht, sieht er, wie Martha in der Tür zum Schlafzimmer steht. Das Hemd hängt in ihren Händen wie eine abgestreifte Haut.
Der Grund, warum ich selber dachte, dass ich das nicht geschrieben hätte, liegt natürlich in der außergewöhnlichen Art und Weise, wie Sandra sich einen Text oder eine Beschreibung zu ihrem Eigenen machen kann. In dem Moment, wo ich das sehe, gehört es mir auch nicht mehr, es fühlt sich an, als hätte ich das nie geschrieben. Also: ein intuitiver Moment und ein geschriebener zugleich.
HS: Vielen Dank Herr Schomburg und viel Erfolg mit dem Film!
Das Ferninterview führte Eckhard Heck
Jan Schomburg wurde 1976 in Aachen geboren. Nach einem Abschluss in Visueller Kommunikation an der Kunsthochschule Kassel studierte er von 2001 bis 2004 Filmregie an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Während dieser Zeit drehte er zahlreiche mit Preisen ausgezeichnete Kurzfilme. 2008 war er Stipendiat der Andrzej-Wajda-Filmschule in Warschau und belegte dort einen Meisterkurs in Regie. Über uns das All ist sein Debütfilm.
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