News: „Herkunft“ von Oskar Roehler
Von Redaktion // 20. September 2011 // Tagged: featured // Keine Kommentare
Mit dem Regisseur Oskar Roehler („Die Unberührbare“, „Elementarteilchen“, „Jud Süß“) gibt es im aktuellen „Spiegel“ ein ziemlich bestürzendes Interview anlässlich seines frisch veröffenlichten Romans. Die Feuilletons besprechen ihn momentan vorwiegend positiv. Könnte gut sein zu Recht. Die im Netz zur Verfügung stehende Leseprobe von „Herkunft“ hat verblüffenderweise eine Stimmung wie Nick Cave`s Song „Red Right Hand“ (aus dem „Hellboy“- Soundtrack (ab 1:50 min). Man kann definitiv Schlechteres lesen:
„Dann freundete ich mich mit Komorek an, mit ihm watete ich durch das dunkle Brackwasser der Baugruben, wenn dicke Wolken aufzogen und Regen über das Land trieb, sah ihm zu, wie er trank und in den Himmel starrte, wenn die Gewitter niedergingen, und danach sah ich ihn mit der Flasche in der Hand kreiseln über dem roten Matsch, im gleißenden Glanz der Sonne, die unter den Wolken plötzlich hervorbrach und alles aufleuchten ließ. Ich stieg aus dem Wasser und tanzte wie ein Derwisch mit ihm, rieb mich ein mit Liebstöckel, den ich zwischen den Fingern zerpresste, mit Majoran und mit Waldmeister, warf mich danach völlig erschöpft in den Dreck neben ihn, roch die Pisse in seinen Kleidern. Oder ich kroch oder lief auf allen vieren über die Kohlfelder, die dunkel, fast schwarz auf der Ebene lagen, und hechelte dabei wie ein Hund.
Manchmal begleitete ich ihn noch ein Stück, wenn er nachts die Bauwagen der italienischen Gastarbeiter abklapperte, um Bier zu erbetteln oder, unter dem Vorwand, eine Zigarette zu schnorren, mit ihnen hineinging – was immer auch dann dort geschah.
Er ließ mich unbekümmert allein an der nächtlichen Straße, die mit Schotter aufgefüllt war und weiter hinten bereits geteert. Ich sah sein Gesicht hineintauchen in das ölige Licht im Innern der Bauwagen, sah seine kleine, platte, schiefe Boxernase, seine rudimentäre Oberlippe, die fein gespalten und wieder genäht worden war, sah die kleine, weiße Naht darauf und den toten Ausdruck in seinen Augen. So ging ich, zwischen Nachtlicht und Draht, allein umher, fand mich an Baugruben wieder, mein Ohr an den leise sirrenden Elektro-Umzäunungen oder an den Rosenstöcken, die sich mit weißer Glut in die Nacht rankten, meine Nase in ihrem betörenden Duft. Am Anfang suchte man mich, dann nicht mehr – es hieß, ich sei mondsüchtig geworden (eine plausible Erklärung) –, denn ich kam mit schlafwandlerischer Sicherheit jede Nacht wieder zurück in das Haus, das noch immer nach Zement und Feuchtigkeit roch.
In all den langen Tagen und kurzen Nächten meiner nicht vorhandenen Kindheit kreiste etwas in meinem Gehirn unablässig, ein unauflösbares Rätsel: Wo war der Herr der Herrlichkeit? Manchmal schien er meine Frage durch ein Spektakel in der Natur zu beantworten, das – plötzlich – hervorbrach und einen Vorhang aufriss, ein – jäher – Wechsel in den Elementen, ein Donnergrollen oder ein Sonnenstrahl, der hoch und golden durch die Wolken brach – für mich, der emporblickte wie ein Heiliger auf einem Kirchengemälde und erstarrte angesichts Seines Zeichens auf freiem Feld.“
(szy)