Naokos müdes Lächeln

Von  //  5. Juli 2011  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

Bild: Pandora Film, pandorafilm.de

Haruki Murakami ist der Mann, der die japanische Form des magischen Realismus europakompatibel und damit hierzulande einer breiten Masse zugänglich gemacht hat. Romane wie Kafka am Strand und Wilde Schafsjagd sind so magisch und zugleich so realistisch, dass man den Figuren ohne zu zögern in die entlegensten Winkel folgt und sie in die rätselhaftesten Umstände begleitet – und die Figuren folgen einem ins Leben, wenn man nicht schnell genug den Buchdeckel zu schlägt. Der Versuch, einen Murakami-Roman zu verfilmen, ist zwangsläufig ein gewagter. Man bräuchte einen Regisseur mit David Lynchs Gespür für‘s Seltsame und nur scheinbar Unlogische, Nicolas Winding Refns Liebe für überirdische Kulissen und Jim Jarmuschs Blick für merkwürdig schöne Menschen. Das scheint unmöglich, und bis jetzt ist das Unterfangen Murakami-Verfilmung meiner Ansicht nach auch noch nicht zur Zufriedenheit gelungen.

Jun Ichikawa legte 2005 mit der Verfilmung der Erzählung Tony Takitani vor. Ichikawa hat damit den vermeintlich einfachen Weg gewählt, da die Erzählung weit weniger komplex ist als die großen Romane und somit einfacher in eine schlüssige Filmhandlung zu überführen. Anders als die Figuren in Murakamis Werken bleiben einem die Filmcharaktere aber fremd, die kleine Geschichte wirkt künstlich aufgebläht und mit Blei beschwert. Nun zieht Trần Anh Hùng nach mit einer Interpretation von Naokos Lächeln (im Japanischen passender nach dem Beatles Stück Norwegian Woods benannt). Damit entscheidet auch Hùng sich für eine der weniger dem Magischen verschriebenen Geschichten Murakamis und drückt sich vor der Darstellung mysteriöser Parallelwelten. Und das, obwohl er den dazu nötigen Winding-Refn-Blick durchaus besitzt und beinahe unerträglich schöne Landschaften zeigt, in denen alles möglich zu sein scheint.

Die Story ist eine nicht ganz untypische Drei- bis Vierecksgeschichte. Nachdem sein bester Freund Kizuki (Kengo Kora) sich das Leben genommen hat, verlässt der junge Toru Watanabe (Ken‘ichi Matsuyama) seinen Heimatort und beginnt in Tokyo ein Studium. Er liest wie besessen, hält sich aus den Studentenrevolten der 60er Jahre weitgehend raus und verbringt seine Freizeit damit, gemeinsam mit dem kaltherzigen Macho Nagasawa (Tetsuji Tamayama) Frauen aufzureißen. Doch plötzlich taucht Naoko bei Toru auf, die seit ihrem dritten Lebensjahr mit Kizuki seelenverbunden war und nach dessen Tod völlig haltlos ist. Naoko und Toru finden zusammen, doch nachdem sie das erste mal miteinander geschlafen haben, verschwindet Naoko, in ein Sanatorium, wie sich später herausstellt. Inzwischen tritt die kesse Midori in Torus Leben. Die beiden Frauenfiguren sind als Gegenentwürfe zueinander angelegt. Naoko ist in der Vergangenheit verhaftet, Schmerz und Verlust dominieren ihr Leben und lassen sie nach und nach in den Wahnsinn driften. Midori hingegen drängt es mit Macht ins Leben. Sie ist trotz aller Schicksalsschläge gewillt, glücklich zu werden. Leider wird der Gegensatz zwischen den beiden Frauenfiguren von Regisseur Hùng nicht deutlich genug herausgearbeitet. Er nimmt sich für jede Banalität mehr als genug Zeit, beschreibt alles mögliche en detail und hält sich teilweise mit Wiederholungen auf, aber er schafft es nicht, dem Zuschauer das Wesentliche, die Beweggründe der Figuren, nahe zu bringen. Naoko kommt einem phlegmatisch und überspannt vor, welcher Natur aber ihr Problem ist, dass sie von der Stimme ihres toten Freundes umgetrieben wird und nicht nur von selbstzweiflerischer Egozentrik, wird erst am Ende des Films deutlich. Midori hingegen lässt die nötige Lebenslust vermissen und wird einem durch ihren laxen Umgang mit der Wahrheit, ihren ausgeprägten Geltungsdrang und die teilweise nicht gut nachvollziehbaren Stimmungsumschwünge unsympathisch. Toru wirkt dazwischen wie ein Hausangestellter, der unentschlossen aber dienstbeflissen zwischen den Frauen hin und her rennt, versucht, trotz seines damit nicht ganz leicht zu vereinbarenden Sexualtriebs den ein oder anderen moralischen Grundsatz hinüber zu retten und es trotzdem allen recht zu machen. Sex ist der Motor, der die Geschichte voran treibt. Dass er ein so großes Gewicht erhält, lässt sich je nach persönlicher Vorliebe des Zuschauers als spätpubertär oder – angesichts des jugendlichen Alters der Protagonisten – als lebensnah begreifen. Sex ist für die Charaktere zu bewältigende Aufgabe, unlösbares Rätsel, unerwartetes Geschenk oder Anlass für Konflikte, aber er ist immer bedeutsam.

Obgleich der Film insgesamt zu wenig stringent inszeniert ist (die 133 Minuten kommen einem auch wie 133 Minuten vor) hat er doch seine Stärken. Die Landschafts- und Makroaufnahmen sind grandios, die Kameraführung ist ruhevoll und präzise und die Musik von Jonny Greenwood und Can ist wunderbar. Ein absoluter Pluspunkt ist aber vor allem die Darstellung der Anziehung zwischen den Figuren. Es wird viel und überzeugend geknutscht in diesem Film, berührt und (ab)gestoßen. Kameramann Mark Li Ping Bing fängt die feine Mimik und die behutsame Gestik der Schauspieler ein wie Schmetterlinge und pinnt sie säuberlich für uns zur Ansicht auf. Vor dieser hauchzarten Zeichnung nimmt sich die zentrale Szene umso eindrucksvoller aus: Nachdem sich auch Naoko das Leben genommen hat, zieht sich Toru in eine Höhle am Meer zurück, brüllt bis zur völligen Erschöpfung gegen die Wucht der Brandung und die Unerbittlichkeit des Lebens an und schreit sich so durch seinen Schmerz hindurch. Wenn man auch auf einige andere Szenen in dem Film verzichten kann, diese möchte ich nicht missen.

Japan 2010, Regie: Trần Anh Hùng

Diese Rezension wurde auf www.frausuk.de erstveröffentlicht.

 

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Über den Autor

Bianca Sukrow, geb. in Aachen, ist Literaturwissenschaftlerin, Mitgründerin des Leerzeichen e.V., freie Lektorin und Journalistin. Im persönlichen Umgang ist sie launisch, besserwisserisch und pedantisch.

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