Mr. Nice
Von Marco Siedelman // 23. Juni 2011 // Tagged: Britisches Kino // Keine Kommentare
Das Leben von Howard Marks ist mindestens einen Film wert – das haben sich bereits mehrere Millionen Leser weltweit gedacht, als sie die vergnügliche Autobiografie des ehemals größten Haschisch-Dealers der Welt lasen. In einem sehr flüssigen und lebendigen Stil erinnert sich Marks in seinem Bestseller Mr. Nice an eine ereignisreiche Zeit des Aufbruchs. Ein abgeschlossenes Physik-Studium in Oxford hätte Marks ganz sicher den Weg zum erfolgreichen Wissenschaftler geebnet – als er Marihuana für sich entdeckte, schlug er allerdings eine legendäre Karriere als Gangster ein und kontrollierte zu seinen Bestzeiten schätzungsweise zehn Prozent des Welthandels mit seinem Lieblingskraut in eigener Hand. Zu Gewaltanwendung kam es dabei nie, Marks beteuert sehr glaubwürdig seinen pazifistischen Standpunkt und schreibt, er hätte nie eine Waffe getragen. Da der Verfasser dieser Zeilen bereits das Vergnügen hatte, Mr. Nice die Hand zu schütteln und ein bisschen Smalltalk zu machen, spekuliert er darauf, das dieser wirklich der nette Kerl ist, den man vermutet. Und verzeiht dem Film gerne seine doch sehr ruppige Dramaturgie, die viele Anekdoten mitnehmen will und für Neueinsteiger das Thema vielleicht etwas zu heiß aufkocht. Zwar verweist der Film auf die Realität als Grundlage und nutzt diese Möglichkeit auch, um zeitgeschichtliche Ereignisse aufzubereiten, lässt aber auch deutlich erkennen, das er dem findigen Marks bestimmt nicht alles abkaufen will: Den äußeren Rahmen bildet eine Veranstaltung, eine jener One-Man-Shows, mit denen der ehemalige Großdealer seit Jahren unterwegs ist und die ihn zur kultisch verehrten Ikone stilisiert haben.
Marks als Erzähler steht also auch in der Filmrealität an erster Stelle – wohl die einzig konsequente Möglichkeit, dieses Leben aufzurollen, in dem Verstrickungen mit dem MI6 und der IRA, der Krieg mit der DEA, der fast zum privaten Clinch wird und verschwenderisches Prassen ein selten schräges Gesamtbild ergeben und zugleich einen feinen Gegenentwurf zur eigentlichen Rise-and-Fall-Logik eines solchen Gangsterfilms liefern. Zwar findet diese Verwendung, doch anders als ein Tony Montana landete der reale Marks eben nicht im Wahnsinn und gewaltsamen Tod sondern in der Bürgerlichkeit. Heute führt er ein beschauliches Leben als Legalisierungsbefürworter und Familienvater. Regisseur Bernard Rose, Horrorfans vor allem bekannt für seine Barker-Adaption Candyman’s Fluch, inszeniert das Ganze zwar eher bieder und nicht sonderlich einfallsreich, profitiert aber von der aufregenden Handlung und natürlich den blendend aufspielenden Darstellern, allen voran Stilikone Chloe Sevigny als Howards große Liebe Judy Marks. Rhys Ifans (Radio Rock Revolution) überzeugt in der überaus dankbaren Hauptrolle mit lässigem Understatement und einer nicht zu leugnenden physischen Ähnlichkeit mit Marks, der sich von diesem charmanten Film durchaus geschmeichelt fühlen darf – an einer Dekonstruktion seiner Persona ist Mr. Nice ebenso wenig interessiert wie an einer psychologischen Aufschlüsselung der Ereignisse. Im erdig-smoothen Look bietet sich letztlich ein doch sehr nüchternes Gesamtbild, die teils bis heute nicht völlig aufgeklärten Ereignisse herunterbricht auf einen gewissen zeigbaren Konsens aber auch viele fantasievoll gestaltete Ideen enthält und über die stramme Laufzeit von knapp zwei Stunden niemals langweilt. Allerdings scheint der Film streckenweise nicht zu wissen, wie er zu seiner Hauptfigur umgehen soll, ohne in hemmungslos eindeutiger Legalisierungspropaganda zu enden, was eindeutig nicht in der Absicht seiner Macher steht.
GB 2010 / R: Bernard Rose
(Review zuerst erschienen in der Deadline)