Die läufige Leinwand – Interview mit Christian Keßler
Von Eckhard Heck // 27. Juni 2011 // Tagged: Interview, Porno // Keine Kommentare
Die läufige Leinwand ist keine dröge filmwissenschaftliche Abhandlung, sondern ein mit Lust zusammengetragenes Kompendium des amerikanischen Hardcore-Films der 1970er und frühen 1980er Jahre. Das Werk erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit, bietet aber einen wohlsortierten Überblick über nahezu alle wichtigen Filme und Protagonisten der Periode. Christian Keßler schiebt zwischen die Filmbesprechungen eine beachtliche Anzahl von selbst geführten Interviews mit Regisseuren und Darstellern, was die Lektüre ungemein bereichert und dem geneigten Leser einen tiefen Blick in den „Ausschnitt“ dieses illustren Teils der Filmgeschichte ermöglicht.
Die Anschaffung empfiehlt sich sowohl für den interessierten Novizen als auch für den eingefleischten Aficionado, in dessen Handkatalog Die läufige Leinwand in keinem Fall fehlen sollte.
Am 02. Juli stellte Christian Keßler sein Buch in Aachen vor > Veranstaltung in der Raststätte. Hardhead Ecki hatte vorab einige Fragen an den Autor.
HS: Lieber Christian Keßler. Wie fallen die bisherigen Reaktionen auf die läufige Leinwand aus?
CK: Eigentlich sehr erfreulich. Mir hat noch niemand die Freundschaft gekündigt, und die Rückmeldungen waren überwiegend positiv. Mir ist es am wichtigsten, daß die Leser, die den Verkaufspreis entrichten, nicht das Gefühl bekommen, daß sie einen Fehler begangen haben. Ich bin heilfroh, daß das Buch nach so langer Zeit überhaupt noch herausgekommen ist. Daß es dann in so anständiger Form passiert ist, freut mich natürlich besonders!
HS: Du sprichst in einigen Besprechungen von einer deutschen Kino-Synchronisation. Muss man das so verstehen, dass diese Filme zeitnah zu ihrer Veröffentlichung in den USA bereits in deutschen Kinos zu sehen waren? Wie muss man sich das im porno-historischen Kontext vorstellen?
CK: Das kommt immer sehr auf den Einzelfall an. Nach der deutschen Legalisierung von filmischer Pornographie im Jahre 1975 gab es natürlich eine immense Nachfrage nach solcher Ware. Firmen wie Beate Uhse kauften also alles mögliche auf, um die Nachfrage zu befriedigen. Dabei rutschen viele durchaus interessante Produktionen durch das Netz. Beileibe nicht alle der Filme, die ich im Buch bespreche, sind jemals im deutschen Sprachraum ausgewertet worden. Da sie zudem journalistisch eher stiefmütterlich behandelt wurden, ist bei vielen von ihnen kaum noch herauszubekommen, ob eine deutsche Fassung existiert.
HS: Du beschreibst in deinem Buch auch die Ursprünge des US-Hardcore-Films. Zu den Stag Movies (die nie das Licht „regulärer“ Kinos erblickten) und Loops (kurze Filme für den Betrieb in Münzautomaten), gesellte sich schließlich zu Beginn der siebziger Jahre der pornographische Langfilm. Wir neigen dazu, diese Ära zu romantisieren. War es tatsächlich so, dass mit dem Aufkommen der Langfilme die anderen Formate, die lediglich der schnellen Triebabfuhr dienten, einen Niedergang zu Gunsten eines anspruchsvolleren pornographischen Films erfuhren? Anders gefragt: War der pornographische Langfilm tatsächlich eine vorherrschende Strömung der Zeit, oder nur der Versuch, ein breiteres Publikum zu erreichen und möglicherweise den Schritt aus der gesetzlichen Illegalität zu bewerkstelligen?
CK: Anfang der 70er Jahre war expliziter Sex auf der Leinwand noch die große Sensation. Den Produzenten war in erster Linie daran gelegen, daß ihr Produkt Sex enthielt. Was die Regisseure dann um diesen Sex herumstrickten, war ihnen einigermaßen egal, und da viele der Regisseure Filmfans waren und eigentlich „richtige“ Filme machen wollten, hatten sie Gelegenheit, viele ihrer privaten Obsessionen – sexueller oder nichtsexueller Natur – in die Filme einzuarbeiten. Später, als die Industrie zu wachsen begann, kam dann sicherlich noch der Faktor hinzu, daß man seinem Publikum etwas bieten wollte, was es anderswo noch nicht gesehen hatte. Da es auf dem sexuellen Sektor relativ wenige Variationsmöglichkeiten gibt, führte das meistens zu einer aufwendigeren Verpackung, die auch den gesellschaftlichen Veränderungen der jeweiligen Herstellungszeit Rechnung tragen mußte. Pornographie war immer sehr aktuell und reflektierte die Moden der Zeit. Da die Filme – verglichen mit Hollywood-Produkten – sehr preisgünstig waren, lief das problemloser als in höher budgetierten Produktionen. Die Motivation solcher Filme war immer kommerzieller Natur, von einigen wenigen Experimenten mal abgesehen.
HS: Jeder Versuch der Vollständigkeit würde vermutlich den Rahmen des Buches sprengen. Deshalb geht eine eingeschränkte und subjektive Auswahl an Filmen vollkommen in Ordnung. Aber – und du bist das sicher schon des öfteren gefragt worden – warum hast du dich dazu entschieden Deep Throat, DEN Klassiker schlechthin, nicht zu besprechen?
CK: Bei DEEP THROAT handelt es sich um ein kulturelles Phänomen, da sein damaliger Erfolg ohne Präzedenz war. Er stieß Türen auf, die vormals verschlossen gewesen waren. Als Film ist DEEP THROAT aber völlig banal und unergiebig, weshalb er mir niemals sonderlich am Herzen lag. Da ich mit dem Buch – wie eigentlich den meisten anderen Texten über Filme, die ich geschrieben habe – in erster Linie daran interessiert war, meine eigene Sichtweise in bezug auf das Thema den Lesern anzubieten, meine eigene Begeisterung zu übertragen auf andere, war der Film niemals für eine detaillierte Review im Gespräch. Ich habe ihn deshalb mit THE DEVIL IN MISS JONES zusammengepackt, der kurz darauf erschien und qualitativ um Lichtjahre besser ist. Mir kam es darauf an, beispielhafte Produktionen auszuwählen, die ich entweder für besonders gelungen, besonders kurios oder besonders repräsentativ halte.
HS: Forced Entry, der kontroverse aber mindestens außergewöhnliche Erstling von Shaun Costello findet zwar eine Erwähnung, wird aber ebenfalls nicht mit einer Besprechung gewürdigt. Gibt es dafür spezielle Gründe, oder magst du ihn einfach nur nicht?
CK: FORCED ENTRY – ebenso wie Costellos WATERPOWER übrigens – halte ich für sehr interessante und gut gemachte Filme, die aber in ihrer Drastik die Toleranz der meisten Zuschauer auf eine harte Probe stellen dürften. Daß ich sie im Buch nicht detailliert besprochen habe, liegt einfach daran, daß ich ein kleiner Schißhase bin! Vor Erscheinen des Buches hatte ich nämlich Manschetten davor, daß das Buch Gefahr laufen könnte, auf dem Index zu landen. Zwar hatte ich mich um eine sehr persönliche und nicht anzügliche Herangehensweise bemüht, aber das Thema an sich ist ja durchaus kontrovers. Ich wollte nicht jener Autor sein, der meinen Verleger in Schwierigkeiten bringt, weshalb ich diese Filme nur am Rande behandelt habe. Ich habe sie dann im Zusammenhang mit anderen, weniger drastischen Filmen des Regisseurs angesprochen.
HS: Wie bewertest du das „golden Age of Porn“, das nicht zuletzt durch die neue Freizügigkeit in Dänemark um 1968 herum angestoßen wurde, im internationalen Vergleich? Fand die Entwicklung in Amerika in der Folge isoliert und auf eigenem Niveau statt, oder lassen sich ähnlich Entwicklungen für den gleichen Zeitraum auch für andere Länder nachweisen?
CK: Jedes Land hatte damals seine eigene Pornoproduktion, deren Charakter sowohl den Grad der zensoriellen Toleranz als auch nationale Vorlieben widerspiegelte. In Frankreich zum Beispiel begann die entsprechende Entwicklung 1974, und teilweise waren es alte Hasen, die auf einmal im Sumpf planschten, Leute, die vormals mit Schauspielern wie Jean Gabin oder Louis de Funès zusammengearbeitet hatten. Man versuchte sich auch dort an dramatischen Themen, während die deutschen Produkte meistens wie eine Erweiterung der bewußt schlüpfrigen – und ziemlich verklemmten – Reportfilme wirkten, wie launige Nummernrevues. Dies alles näher zu beleuchten, überlasse ich aber gerne anderen Autoren mit noch ganz sauberen Gummistiefeln!
HS: Vielen Dank, Christian. Wir freuen uns auf einen unterhaltsamen Abend!
Christian Keßler, Jahrgang 1968, studierte Germanistik und Amerikanistik in Göttingen und Oldenburg. Seit über 15 Jahren ist er filmjournalistisch für das Berliner Magazin „Splatting Image“ tätig. Zudem schrieb er zahlreiche Artikel und Interviews für andere Publikationen.
Er war Mitautor des englischsprachigen Buches „Obsession – The Films Of Jess Franco“ (Berlin 1993) und verfaßte im Alleingang „Das wilde Auge“ (Meitingen 1997) und „Willkommen in der Hölle“ (Hebertshausen 2002), die von italienischen fantastischen Filmen bzw. dem italienischen Western handelten. Er arbeitet als freier Autor in Gelsenkirchen und tritt einmal monatlich im „Geheimnisvollen Filmclub Buio Omega“ vor ein cineastisch interessiertes Publikum. Er erhofft sich von „Die läufige Leinwand“ Ruhm, Reichtum und Schönheit. Als Ergänzung zum Buch „die läufige Leinwand“ blogt Christian Keßler hier > https://cjamangoblue.blogger.de
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