Geflügelsterben

Von  //  14. Februar 2011  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

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Nachdem widrige Umstände (überfülltes Kino, nur noch Restkarten für Reihe 3) uns letzte Woche davon abgehalten hatten, ergatterten wir gestern endlich gute Sitzplätze für Black Swan. Meine Begeisterung über The Wrestler, Darren Aronofskys letztem Film, ließ mich die Erwartungsschraube ordentlich fest anziehen. Aufgrund der Tatsache, dass Natalie Portman die Hauptrolle spielte, klemmte ich gleich noch ein paar Vorfreudeunterlegscheibchen dazwischen. Hätte ich mir denken können, dass so viel Anpressdruck zu Materialermüdung führen muss. Kurz: Ich hatte mehr erwartet. Der Film war nicht schlecht, aber auch nicht so gut, wie die allgemeinen Jubeltiraden vermuten ließen. Komischerweise störte mich das am wenigsten, was in den wenigen negativen Kritiken bemängelt wird: Die Horrorelemente. Ohne die wäre es ein weiterer Film aus der Reihe „Zuschauer-sieht-was-Schizophrener-mit-multipler-Persönlichkeitsdissoziation-wahrnimmt“-Reihe gewesen, in einer Linie mit Fightclub oder Der Maschinist. So ist es wenigstens ein „Zuschauer-sieht-was-Schizophrener-mit-fiesen-Hallus-wahrnimmt-Film“.

Ansonsten taucht in Black Swan so ziemlich jedes Ballett-Klischee auf, das ich kenne. Das Ensemble wird von einem genialen, notgeilen, erfolgsüchtigen Choreographen geleitet, dem alle um die Füße schleimen, obwohl keiner ihn ausstehen kann. Jede Ballerina versucht, die andere vom Sockel zu hauen (okay, ich kann mir vorstellen, dass das kein Klischee ist). Überhaupt gibt es nur zwei Sorten von Tänzerinnen; die hyperasketische diszipliniert-angestrengt-frigide Bulimikerin mit Übermutter (irgendwo muss das Double-Bind als Grund für die schizophrene Anpassungsstörung ja herkommen) und das fleischeslustig-verführerisch-freie Naturtalent, das reihenweise Männer flach legt, die Burger mit Vorliebe rare verspeist und für die Techno-Party gerne mal ’ne Pille einwirft. Natalie Portman verkörpert erstere. Und das tut sie so gut, dass man sich nicht mit ihr identifizieren mag. Formal und thematisch liegt es nahe, Parallelen zwischen Black Swan und The Wrestler zu ziehen (Höhen und Tiefen einer Sportlerkarriere, Zerreißprobe zwischen dem Leben im Rampenlicht und dem düsteren Alltag, der vorhersehbare Fall in den Tod am Ende usw.) Aber während ich mit Matschgesicht Mickey Rourke alias Randy „The Ram“ Robinson mitgerungen, gelitten und geblutet habe, blieb mir Prima Ballerina Nina eigentümlich fremd.

Das muss man eigentlich als hervorragende Leistung von Natalie Portman verbuchen, denn genauso ist ihre Figur angelegt: Zumindest vom Gesicht her hübsch anzusehen (den auf bestenfalls 48 Kilo abgemagerten Körper fand ich zuweilen ekliger als die hautzerreißenden Horrorsequenzen) und ansonsten zwanghaft, unnahbar und unerotisch. Aber egal wie gut das zur Rolle passt und egal wieviele Oscars sie dafür bekommen wird, das ist nicht die Natalie Portman, die ich gerne auf der Leinwand sehen mag. Ich will die morgentaufrische, lebendige Natalie Portman, die mich in Beautiful Girls und Gardenstate verzaubert hat. Zugegeben, da kann sie jetzt nix für, auch dafür nicht, dass sie älter wird. Und wie gesagt, der Film ist nicht schlecht. Alles in allem ist Black Swan stringent erzählt und bietet durchaus optische Highlights (z.B. Ninas Morph in den schwarzen Schwan bei der Premiere). Das Finale wird konsequent vorbereitet, und bis auf die gelinde gesagt unrealistischen Kostümwechselzeiten – Schwanenkönigin Nina schafft es, sich ohne Maskenbildnerin in den per Lautsprecheransage vorgegebenen fünf Minuten ein komplettes Show-Makeup aufzuschminken, die Haare zu machen und ein anderes Bühnenoutfit anzulegen – gibt es keine nennenswerten logischen Brüche. Und welcher Stoff eignete sich besser zur Darstellung der zwei schwarz-weißen Seelen, die – ach! – in der Brust Heranwachsender wohnen, als Schwanensee?

USA 2010, Regie: Darren Aronofskys

Diese Rezension wurde auf www.frausuk.de erstveröffentlicht.

 

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Über den Autor

Bianca Sukrow, geb. in Aachen, ist Literaturwissenschaftlerin, Mitgründerin des Leerzeichen e.V., freie Lektorin und Journalistin. Im persönlichen Umgang ist sie launisch, besserwisserisch und pedantisch.

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