Gay Purr-ee
Von Marco Siedelman // 3. Februar 2011 // Tagged: Animationsfilm, Musical // Keine Kommentare
Frankreich in den 1890ern: Der Kater Jaune-Tom lebt zufrieden in der Provence, er jagt Mäuse mit seinem besten Freund Robespierre und ist glücklich verliebt in die hübsche Katzendame Mewsette. Doch diese ist nicht zufrieden mit dem beschaulichen Landleben und sehnt sich nach der großen Stadt Paris, ihrem glitzernden Nachtleben und ihren romantischen Sehenswürdigkeiten. Als Jaune-Tom ihr eine gefangene Maus zum Geschenk machen will, hat Mewsette genug und schickt den Kater enttäuscht davon. Sie springt auf eine Kutsche nach Paris auf um dort ein neues Leben zu beginnen.
Robespierre, ohnehin eifersüchtig auf Mewsette und angeekelt von der liebevollen Turtelei zwischen ihr und Jaune-Tom, überbringt seinem besten Freund die vermeintlich frohe Botschaft von Mewsettes Abreise. Dieser überlegt nicht lange und folgt seiner Angebeteten nach Paris, begleitet von Robespierre, der seinen Freund nicht alleine ziehen lassen will. Mewsette ist inzwischen an ihrem Ziel angekommen, gerät aber sofort in das Netz einer kriminellen Katzenschieber-Organisation, deren Kopf die beleibte Katze Madame Rubens-Chatte ist. In ihrem Auftrag ist der verschlagene Kater Meowrice unterwegs, um naive Neuankömmlinge wie Mewsette zu täuschen und zu verkaufen…
„Gay Purr-ee“ nimmt in der Geschichte des Animationsfilms gleich in mehrfacher Hinsicht eine besondere Stellung ein: Zunächst einmal handelt es sich um einen der wenigen amerikanischen Genrefilme seiner Zeit (wenn nicht gar der erste überhaupt), die sich in keinster Weise am Disney-Stil („Imitation of Life“) orientieren und im Charakterdesign auf vollendete Cartoon-Künstlichkeit setzen. Die fast schon karikaturesk anmutenden Figuren haben nicht viel zu tun mit den physikalischen Gesetzen, da kommt es schon einmal vor, das Jaune-Tom wie eine Rakete durch die Luft fliegt und schwere Holzkisten auf den Schädel bekommt ohne Schaden davon zu tragen, oder sich Madame Rubens-Chatte verstohlen direkt ans Publikum wendet und in die Kamera spricht. Diese cartoonesken Figuren agieren nur selten vor traditionell gezeichneten Hintergründen sondern werden ästhetisch ganz in die Handlungszeit versetzt, was zu einer selten gesehenen ästhetischen Heterogenität führt, die aber trotz ihrer Gegensätzlichkeiten funktioniert. Überwiegend sind die Hintergründe im Stil von impressionistischen Ölgemälden gehalten, wobei auf diverse Künstler, die direkt in Paris lebten oder auf andere Weise in ihrer Arbeit von der Stadt beeinflusst wurden, und deren markante Stilmittel bzw. Techniken verwiesen wird.
So bewegen sich die agil animierten Katzen durch fast vollständig starre und bewegungslose Stillleben, exakt nachempfunden den Gemälden von Claude Monet, Vincent van Gogh, Paul Cézanne und diversen anderen zeitgenössischen Malern. Auf diese überdeutlich in Szene gesetzten Referenzen weist der Film sogar selbst in einer kurzen Sequenz hin, die wie ein Fremdkörper in der Handlung wirkt und die im 1890er-Paris aktiven und populären Künstler würdigt, in dem sie namentlich aufgezählt werden und explizit die Verarbeitung ihrer Erkennungsmerkmale in den Bildern des Films heraus gestellt wird. Wenn auch etwas ungeschickt platziert, ist dieser kurze Ausflug in die Kunstgeschichte hilfreich für Laien und vor allem auch für die jüngsten Zuschauer. Zwar erkennt auch ein Laie wie ich leicht die mannigfaltigen Anspielungen auf die hinlänglich bekannten Künstler, viele andere wären mir aber ohne diesen kurzen Unterricht verborgen geblieben.
Die Ähnlichkeit zum klassischen Cartoon, die bis in die 1960er als Vorfilme einen festen Platz im Kinoprogramm hatten, ist kein Zufall: Hinter dem Projekt steht als Drehbuchautor und ungenannter Mitproduzent die Animationslegende Chuck Jones – Oscar-Preisträger und Regisseur von rund 300 Cartoons, von denen einige zu den Meilensteinen ihrer Gattung gezählt werden. Als Regisseur fungierte indessen Abe Levitow, der wohl beste und wichtigste Animator, der für Chuck Jones arbeitete. Die Handschrift des eingespielten Teams ist unverkennbar und drückt sich nicht nur in der kecken Figurenzeichnung aus sondern auch in den aberwitzigen Slapstick-Szenen, die in der romantischen Story natürlich in den Hintergrund treten. Typisch für den amerikanischen Zeichentrickfilm scheint aber die Nutzung des Musicals als äußere Form, um mittels beschwingter Gesangseinlagen die Handlung auf Spielfilmlänge zu dehnen. In „Gay Purr-ee“ wird das Setting und die Form allerdings untrennbar mit dem romantischen Inhalt vermengt, sodass die stimmigen Lieder nicht bloße Staffage bleiben sondern einen fundamentalen Beitrag zur Gesamtkonzeption leisten.
Auch für ein stimmliches Cameo des legendären Synchronsprechers Mel Blanc (Sprecher von nahezu allen wichtigen Warner-Figuren) , der als Bulldogge auftritt und für einige weitere, nicht näher genannte, Geräusche und Einzelsätze verantwortlich war. Selbst sein Faible für Wortspiele in Namen, Ortsangaben und den Filmtiteln selbst konnte Chuck Jones beibehalten: Wie ein großer Teil seiner Cartoons (unter anderem alle Filme um den Road Runner) wimmelt auch dieser Langfilm von Wortspielen, die schon im Titel beginnen – „Purr-ee“ ist eine Verballhornung der französischen Aussprache von „Paris“, ausgesprochen in Anlehnung an das Schnurren einer Katze. Mit großer Freude am Detail setzt sich dieser Trend durch den ganzen Film fort, von den Namen der Protagonisten bis hin zu Orten wie dem „Mewlon Rouge“ – letzteres unterstützt darüber hinaus auch die absurde Parallelwelt der vermenschlichten Tiere.
Dementsprechend routiniert und schnörkellos ist der Film inszeniert, stets getragen von einem beschwingten Ton, der immer wieder Platz macht für schwelgerische Gesangseinlagen. Wie in jedem guten Musical beginnt der Gesang dort, wo gesprochene Wörter nur noch kitschig wirken können und vermittelt die jeweiligen Stimmungslagen adäquat in den eingängigen Songs. Wenn die Handlung auch arg dünn erscheint und mit einem unfreiwilligen Alaska-Ausflug von Jaune-Tom und Robespierre recht bizarr ausgeschmückt wird, entwickelt der Film immer wieder neues Tempo, ohne dabei allzu viele redundante Sequenzen einzubauen. Zum einnehmenden Charme trägt auch das versierte Voice Acting bei, unter anderem mit den Stimmen der Superstars Judy Garland und Robert Goulet.
So simpel und schnörkellos die Geschichte auch erzählt wird, Abe Levitow biedert sich nicht mit einer rührseligen Moral an. Wenngleich Mewsette sich nach den Verlockungen der Stadt sehnt und ihr idyllisches Landleben gründlich satt hat und sie in Paris schnell mit den Schattenseiten ihres Traumes konfrontiert wird, wird zum Schluss nicht ihr vermeintlich falscher Freiheitswillen an den Pranger gestellt und letztlich erstrahlt Paris in schönstem Glanz.
„Gay Purr-ee“ ist ein vergessener Film, dessen Wiederentdeckung in höchstem Maße unwahrscheinlich ist. Schließlich kann man kaum von einem Meilenstein oder Meisterwerk reden, trotz der formellen Originalität und des brillanten Voice-Actings. Innerhalb der Zeichentrickgeschichte ist er relativ einzigartig geblieben – nur selten setzte beispielsweise Disney auf eine cartooneske Stilisierung (Ausnahmen bilden „101 Dalmatiner“ und der viel später entstandene „Königreich für ein Lama“) und außerhalb der kurzen Cartoons hatte kaum ein Zeichentrickfilm vor Ralph Bakshi so viel Mut zur abstrakten Darstellung – erst recht nicht im Bereich der familiengerechten Produktionen.
Auch das Setting im Paris der künstlerisch aufregenden 1890er-Jahre wurde selten so konsequent genutzt, am ehesten vielleicht im Micky Maus Cartoon „The Nifty Nineties“ aus dem Jahr 1941. Während Chuck Jones und Levitow in den Cartoons um das kultige Stinktier Pepe das Klischee des französischen Romantikers noch auf sehr süffisante Art aufgriffen, erliegt „Gay Purr-ee“ gänzlich dem Charme der Stadt der Liebe – so wird das friedvolle Happy End abgeschlossen mit einem Bild des Eiffelturms, inklusive wehender französischer Flagge.
USA 1962 / Regie: Abe Levitow