Filmtagebuch: Fünf Filme von Lotte Reiniger

Von  //  8. Februar 2011  //  Tagged: , ,  //  Keine Kommentare

Fünf Kurzfilme von der Scherenschnitt-Virtuosin Lotte Reiniger, der ich mich demnächst noch etwas ausgiebiger widmen möchte.

Der 1922 entstandene DAS GEHEIMNIS DER MARQUISIN war mit nicht einmal drei Minuten Länge der kürzeste dieser kleinen Reihe. Das hat einen einfachen Grund:  Mit der Schlusspointe, die enthüllt, warum die Marquise eine so wundersam zarte weiße Haut hat, entpuppt sich der Film als Werbespot für Nivea. Ohne jetzt behaupten zu wollen, heutzutage würde keine gute Werbung mehr gedreht – Das waren noch Zeiten, als die besten deutschen Animationskünstler wie Oskar Fischinger, Hans Fischerkoesen und eben die Reiniger für ein kreativ umgesetztes Vorprogramm in den rappelvollen Kinosälen sorgten.  Reinigers Gespür für hauchzart-poesievolle Bildkompositionen zeichnet sich bereits überdeutlich ab in dieser hervorragenden Auftragsarbeit.

Mit Mozart sollte sich Lotte Reiniger ihr Leben lang beschäftigen – lange vor ihrem berühmten großen Scherenschnitt-Zyklus aus den frühen Siebzigerjahren setzte sie mehrfach Szenen aus den bekanntesten Opern um. PAPAGENO und ZEHN MINUTEN MOZART sind schöne Beispiele dafür, wie detailgenau der Animationsfilm in seinen durchweg fremdbestimmten Bewegungen den Rhythmus der Musik annehmen kann. Die Regisseurin befindet sich bereits auf der Höhe ihres Schaffens, wobei für den Mozart-unkundigen (wie mich) der PAPAGENO doch noch um einiges bekömmlicher ist.

Mit DER SCHEINTOTE CHINESE hatte ich etwas weniger Spaß, das orientalische Setting hat mir nicht ganz so zugesagt. Natürlich ist es doch nur konsequent, dass sich Reiniger mit ihrer aus Asien stammenden Silhouettenkunst früher oder später auch inhaltlich auf ihre Vorbilder bezieht. Im direkten Vergleich etwa zum japanischen Kurzfilm PEROT DER SCHORNSTEINFEGER – der die gleiche Scherenschnitt-Technik benutztund formal mindestens genauso gut ist wie Reinigers Werke – zieht das deutsche Pendent den Kürzeren. PEROT wirkte auf mich zwar noch fremdartiger, in sich aber stimmiger und geschlossener, auch was die zugrunde liegende Mythologie der Geschichte betrifft.

Ganz anders dagegen ASCHENPUTTEL, der einen urdeutschen Märchenstoff aufgreift und der mir von den fünf vorliegenden Filmen deutlich am besten gefallen hat. Schon der Beginn hat was von einem Metajoke, wenn wir ein Paar fleißige Hände dabei beobachten, wie sie aus einem Stück Papier eine scharf umrissene Figur schneidet. Der Entstehungsprozess des folgenden Materials wird damit ein wenig transparenter. Wohl auch, um dem Zuschauer ein Gefühl für die Arbeitsweise zu geben und damit auch für die Textur eines solchen per Stop-Motion animierten Scherenschnittfilms. Die bekannte Geschichte wird auf wenige Stationen reduziert, doch erstaunlich viele Momente muten an wie die Skizzen zur spektakulär aufwendigen Disney-Zeichentrickverfilmung von 1950. Hier geht es im Direktvergleich natürlich wesentlich garstiger zu, mehr Gebrüder-Grimm-Splatter eben – ein verstümmelter Fuß und spritzendes Blut inklusive, die bösen Verwandten vom Aschenputtel waren nie hässlichere Monstren. Bemerkenswert schön auch Reinigers Umgang mit Licht – vom pechschwarzen Hintergrund enthüllt sie immer nur so viel, wie gerade nötig für die Handlung, oft nur ein kleiner Teil der Leinwand. Ein irre ausgefeiltes Spiel mit Perspektiven, Räumlichkeiten und spannungsvoller Ausleuchtung. Brillant.

Mit dem letzten Film habe ich einen Zeitsprung gewagt und auch Reinigers Kanon-Meisterwerk, den Prinzen Achmed, vernachlässigt. MARY’S BIRTHDAY ist einer ihrer ersten Filme in Farbe, freilich noch mit der prinzipiell gleichen – wenn auch mittlerweile natürlich ein wenig veränderten – Technik. Ein Lehrfilm ihrer britischen Phase, gegen fiese Insekten und für ein besseres Hygienebewusstsein bei Kindern. Gähn. Naja, nett verpackt in eine obskure Fabel ist der beinahe schon surrealistisch gefärbte Shortie schon aber der Funke wollte nicht so recht überspringen.

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