Hunger

Von  //  7. Februar 2011  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

Fünf Menschen, die sich nie zuvor gesehen haben und scheinbar keine Verbindung zueinander aufweisen, erwachen in einem dreckigen Keller. Die Türen verriegelt, keine Möglichkeit zur Flucht, absolute Dunkelheit. Verstört versuchen sie ihre Lage zu begreifen, die sich jedoch erst am zweiten Tag ihrer Inhaftierung erklärt. Als das Licht angeht, können die fünf sich umsehen und entdecken einen großen Wasservorrat, der scheinbar für eine lange Zeit angedacht ist. Nur zu essen findet sich kein Krümel. Als nach Tagen der Hunger immer mehr brennt wird das Ziel des Wahnsinnigen deutlich, der die Gruppe über verschiedene Überwachungskameras beobachtet. Während er sein perverses soziologisches Experiment genießt, schlürft er Wein vor dem Hintergrund seiner üppig bestückten Bücherregale – ein bildungsbürgerlicher Psychopath, der seine Opfer nicht wie der moralisch verirrte Jigsaw auf eine Probe stellen will sondern unter anderen Vorzeichen zusammengestellt hat. Wieso, soll hier nicht verraten werden, denn die wenigen Handlungsumschwünge, die sich HUNGER erlaubt, sind von elementarer Wichtigkeit für die Konstruktion der Spannungskurve, die sich eben aus dem Ungewissen speist. Jedenfalls ist die Low-Budget-Produktion trotz einiger Härten nicht direkt in die Kategorie „Torture Porn“ zu stecken. Natürlich ist der radikale Nahrungsentzug eine perfide Folter, die noch größere allerdings ist die implizit vorhandene, doch niemals ausgesprochene Aufforderung zum Kannibalismus.

In die so abwechslungsreiche wie anschaffungswürdige Reihe Störkanal passt ein Film mit einer solch kontroversen Prämisse. Auch der radikale Beginn, der mit diffuser Beleuchtung arbeitet, macht deutlich, dass der Zuschauer auf einen Horrortrip geschickt werden soll. Bemerkenswert daran ist eben, dass die perfiden Todesfallen von CUBE bis SAW hier keine Verwendung finden. Der reine Wille zu Überleben und die Qual des Hungers sind die einzigen Motoren, aus denen die Gewalt entsteht. Erfreulich, das die Intentionen des Täters nicht bis ins letzte Detail beleuchtet werden und immer von einer grausamen Willkür bestimmt bleiben. Die wissenschaftliche Engelsgeduld, mit der er sein Experiment – übrigens nicht das erste mal durchgeführt – über mehr als dreißig Tage verfolgt, wird höchstens durch nervöses Herumrutschen und Fingernägelkauen angesichts der sich zuspitzenden Ereignisse bemerkbar. Besonders menschenverachtend ist der Gedanke, das der unabwendbare Hungertod nur noch weiter herausgezögert wird, hat man sich erst dazu hinreißen lassen,  das Fleisch seines Nächsten zu verspeisen. Diese Kaltblütigkeit entmenschlicht die Gruppenmitglieder bis aufs Letzte und lässt bis auf eine Ausnahme nichts weiter übrig als trieb- und instinktgesteuerte Wesen, nur noch bedacht auf den eigenen Vorteil.

Die Störkanal-Reihe ist bereits mehrfach aufgefallen mit den Werken junger, noch hungriger Nachwuchsregisseure – HUNGER ist zwar bereits der zweite Spielfilm des Texaners Steven Hentges, jedoch sein erster Genrefilm, der dementsprechend auf einschlägigen Festivals gezeigt wurde und überwiegend gut ankam. Der Grund dafür liegt wohl in der sehr einbindenden Grundidee, die viel Identifikationspotential mit den Opfern zulässt, sowie in der ökonomischen Nutzung der eng abgesteckten Schauplätze. Zudem erinnert er an die bereits genannten Publikumserfolge, was von der Marketingabteilung entsprechend genutzt wird. Hentges ist jedoch bemüht darum, seinem Film keinen epigonalen Charakter zu verleihen und möglichst eigene Wege im Terrorfilm zu suchen. Dies gelingt ihm zwar nicht immer mit der nötigen Unerbittlichkeit, allzu exaltiertes Overacting bleibt uns aber erpart. HUNGER macht jedenfalls Appetit auf mehr von Hentges – und auf mehr Störkanal sowieso.

Regie: Steven Hentges / USA 2009 / 101 Min.

zuerst erschienen:  Deadline #25

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