Noisey Atlanta

Von  //  20. September 2016  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

Noisey Atlanta

„Im riding in a mansion but I don’t think I’m fancy
But I cut the blinker on and my diamonds dancing
Once upon a time, a little while ago
There was a nigga in a ‚Rari with a pretty yellow ho
Got my head held up cause I think I’m handsome
But the media portraying me as Charles Manson“
Gucci Mane in Ferrari Boyz

Weiß trifft Schwarz

‚Noisey Atlanta’ ist eine, von ‚Vice‘ produzierte und kostenlos im Internet zur Verfügung gestellte, zehnteilige Reportagenreihe über die Trap-Szene (einem Subgenre innerhalb der amerikanischen Hip-Hop Kultur) in Atlanta, die deren Herkunft und Strukturen nachvollziehen und dem Zuschauer die wichtigsten Akteure näher vorstellen möchte. Jeder Teil der Reportage beschäftigt sich mit einem abgesteckten Bereich, beginnend mit einer Begriffsdefinition, über die Vorstellung der wichtigsten Künstler bis hin zu den Produzenten und den bereits innerhalb des Subgenres stattgefundenen Entwicklungen.

Stilistisch ist alles an klassischem investigativen Journalismus angelehnt, denn Noisey Atlanta arbeitet sich Schritt für Schritt durch die dortige Musiklandschaft und erst nach und nach komplettiert sich das Bild, das Noisey von den dortigen Gegebenheiten zeichnen möchte. Im Zentrum steht der Moderator Thomas Morton, der den Zuschauer durch die einzelnen Episoden führt und dabei selbst immer im direkten Kontakt zu den Künstlern steht, also als Mittelsmann zwischen den Objekten und den Rezipienten fungiert.

Der weiße Blick

Nicht erst seit den jüngsten Debatten um Rassismus werden Fragen der Rezeption von schwarzer Kultur gestellt. Bereits Elvis und anderen Künstlern wurde vorgeworfen, dass sie durch die Aneignung von schwarzer Kultur durch eine weiße Person diese markttauglich machen konnten und somit reich wurden. Noch früher, bis in die 1940er Jahre hinein, gab es anthropologisch-zoologische Ausstellungen, sogenannte Völkerschauen, in denen unter anderem schwarze Menschen dem Publikum als exotische Objekte präsentiert wurden. Auch, wenn heute vieles nicht mehr so drastisch scheint, so produzieren viele mediale Herangehensweisen, ob bewusst oder unbewusst, strukturell ein ähnliches Bild der „wilden Exoten“, die insofern nicht als selbstverständlicher Teil der mehrheitlich weißen Bevölkerung in Europa oder den USA erscheinen.

Beim Betrachten von Noisey Atlanta werden dabei schnell die Parallelen klar: Interessant ist zunächst die Wahl des Moderators Thomas Morton, denn dieser steht im starken Kontrast zu den restlichen Akteuren der Reportage. Während auf der einen Seite die martialischen schwarzen Künstler stehen, steht er auf der anderen als dünner Weißer mit Polo-Hemd und Hornbrille. Er dient quasi als Vermittler zwischen Publikum und jenem Künstler, den es als Fremden zu erkunden und zu verstehen gilt. Er führt den Blick des Zuschauers und leitet diesen weiter auf den exotisch erscheinenden Musiker. Sorgt dieser Umstand beim ersten Blick womöglich für Empörung, so lohnt es sich, das Verhältnis zwischen Zuschauer, Moderator und Musiker genauer zu analysieren.

Vom Rassismus profitieren?

„The ink is black, the page is white
Together we learn how to read and write
People are black, got people that’s white
Let’s stop racism, and, let’s unite“
Biz Markie in Erase Racism

Hip-Hop war von Beginn an die Musik der Schwarzen, entstanden aus den ebenso schwarzen Musikgenres des Soul und des Funk. Es gab zwar immer wieder nichtschwarze Rapper, diese blieben jedoch lange Zeit Ausnahmen. Gleichzeitig wurde der von Rassisten verwendete Begriff „Nigger“ umgekehrt und zu einem identitätsstiftenden Begriff umgedeutet. Schwarze benutzten diesen Begriff, für nichtschwarze ist dieser Begriff ein Tabu.

Betrachtet man die Entwicklungen des frühen Hip-Hops bis heute, so bleiben viele Aspekte unverändert gleich, andere haben sich grundsätzlich gewandelt. Trap ist hierfür das aktuellste Beispiel, und gerade das Verhältnis der Künstler und der Rezipienten ist hier besonders interessant.

Ging es früher vielen Rappern noch darum Rassismus aktiv zu bekämpfen und im Geiste Martin Luther Kings Gleichheit zwischen den Hautfarben zu schaffen, so scheint es bei Trap vor allem auch darum zu gehen, sich diese Rassismen anzueignen und durch ihre Darstellung einem weißen Publikum die eigene Exotik zu verkaufen und daraus Profit zu machen. Durch größtenteils extreme Überzeichnung machen sich die Künstler selbst bewusst zu einem Ausstellungsobjekt. Die Faszination entsteht durch die extreme Diskrepanz zwischen Künstler und Rezipienten, die textlich und ästhetisch ausschließlich über äußere Merkmale funktioniert. Wichtig ist nicht nur das enorme Ausmaß an Materialismus, sondern allem voran die Hautfarbe der Künstler. Im Vergleich zum Hip-Hop der 90er Jahre wird hier viel eindeutiger auf die Kaufkraft eines weißen Publikums abgezielt, welches durch die Anziehungskraft des Exotischen an den Künstler gebunden wird. Allerdings, und das macht es so erfolgreich, ist das Exotische eben nicht an das Schwarz sein gebunden, sondern vor allem an die groteske Darstellung von extremen Materialismus, Gewalt, Sexismus und in gewisser Weise auch Nihilismus.

Das obskure Objekt der Begierde

Begegnet man mit diesem Vorwissen Noisey Atlanta, so wandelt sich der erste Eindruck. Es scheint also durchaus erwünscht, dass man als obskures Objekt dargestellt wird. Jeder Künstler scheint sich selbst in einer Form zu präsentieren, die das zuvor Gesehene überbietet. Jeder Teil der Reportage bietet eine neue Sensation für den Zuschauer, dem es schwerfällt, wegzuschauen. Zwar spielt vordergründig die Musik eine große Rolle, die Künstler selbst sind hier aber das eigentlich Sensationelle. Sie selbst erobern sich den größtmöglichen Raum vor der Kamera, sie selbst bestimmen größtenteils ihre Präsentation.

In Episode 6 trifft Thomas Morton den Rapper 2 Chainz in dessen Studio und anschließend begleitet er ihn auf einen Auftritt. Dass die gezeigten Rapper sich das Format zunutze machen wird hier am Deutlichsten: 2 Chainz selbst ist dauerhaft im Bilde und übernimmt im Gespräch die Führung; was er nicht besprechen möchte oder was ihm nicht dient, das wird nicht besprochen, Fragen von Morton, die ihm nicht passen, entweder gar nicht oder nur unzureichend beantwortet. Höhepunkt ist dann aber der wohl spannendste Moment der Reihe: Thomas Morton wird von einer gemeinsamen Autofahrt zu dem Konzert des Rappers ausgeschlossen, einzig und allein der Kameramann darf 2 Chainz begleiten, welcher für diese Zeit die absolute Kontrolle über seine Darstellung übernimmt. Er muss keine Fragen beantworten, die ihn nicht interessieren, er muss sich die Kamera nicht mit dem Moderator teilen, nur er selbst kann den potenziellen Käufer in diesem Moment direkt adressieren und sich vor der Kamera vollkommen und nach seinem Belieben entfalten.

Wunsch nach Verbrüderung

Die Macht des Künstlers wird hier vor allem durch den heimlichen Wunsch nach Verbrüderung des weißen Rezipienten bedingt. Die Rapper in Noisey Atlanta geben gerade so viel von ihrer Welt an die Rezipienten weiter, dass ihnen der Einblick in diese verborgene Welt ausreicht, um auf eine gemeinsame ästhetische Basis zurückgreifen zu können. Weiße Fans können sich über die Nachahmung des Dargestellten quasi in diese Welt einkaufen und können Elemente des „Exotischen“ erleben ohne den realen sozialen Bedingungen einer schwarzen Minderheit in den USA selbst ausgesetzt zu sein.

Interessant ist dazu die Funktionsweise der sogenannten ATL-Twins in Episode 4 (auch bekannt als James Francos Sidekicks in Harmony Korines SPRINGBREAKERS), die sinnbildlich für diese Verbrüderung stehen und die man als It-Boys bezeichnen kann. Sie haben keine Funktion, sie sind vielmehr ein Symbol. Sie haben scheinbar alle ästhetischen Elemente übernommen, unterscheiden sich aber gleichzeitig in 2 essenziellen Faktoren: sie sind weiß und machen keine Musik. Hier wird dem weißen Zuschauer gezeigt: Das ist das Maximum, näher dürft ihr nicht ran. Und weil beide an diesem Maximum agieren, sind sie für den weißen Zuschauer ebenso faszinierend, wie es die schwarzen Rapper sind.

Rappten viele Künstler der späten 80er und frühen 90er Jahre noch explizit über Diskriminierung und das notwenige Empowerment der nicht-weißen Bevölkerung, so bleiben diese Themen bei den Künstlern von Noisey Atlanta höchstens noch bruchstückhaft zurück. Das schafft einen inklusiveren Konsens und gibt den nichtschwarzen Hörern einen weit größeren Raum zur Partizipation, und es gibt damit ein Stück weit deren Wunsch nach Verbrüderung nach.

Rapper iLoveMakonnen beispielsweise zeichnet in seinem bei Noisey Atlanta präsentierten Song I don’t sell molly no more ein kaum greifbares Bild seiner selbst als Drogendealer in fast schon dadaistischer Form. Ihm geht es hier ausschließlich um die Ästhetisierung seiner Umstände, nicht um deren Kritik. Nachvollziehbarkeit wird also nicht an soziale Umstände gekoppelt, sondern ergibt sich für jeden Hörer gleich. Hier unterscheidet er sich von Künstlern wie Public Enemy, 2 Pac, Notorious B.I.G. und anderen, die Ästhetik stets mit Kritik verbanden und ganz bewusst den Handlungsspielraum der nichtschwarzen Hörer einschränkten und diese auf die Zuschauerposition beschränkten, also ihrem Verbrüderungswunsch deutlich weniger nachgaben.

Alles Kalkül?

Ob freiwillig oder teilweise auch unfreiwillig, so fängt Noisey Atlanta damit mehr ein als eine bloße Zurschaustellung der Künstler einer „exotischen“ Szene. Noisey Atlanta reproduziert das, was für einen nichtschwarzen Rezipienten einen großen Teil der Faszination für dieses Genre ausmacht. Bei genauerem Betrachten zeigt sich, wie Marketing für solche Künstler funktioniert und dass zumindest der gezeigte Teil dieser Szene sich ganz bewusst des weißen Blicks bedient, um daraus Profit zu schlagen. Der weiße Blick wird damit dekonstruiert und durch eine neue Hierarchie der Blicke umgekehrt. Nicht der weiße Blick beutet sein Objekt aus, das Objekt zeigt ganz bewusst nur die Dinge, die es zeigen möchte, egal ob authentisch oder nicht, und übernimmt damit die Kontrolle über seine Außenwirkung. Fragwürdig bleibt, ob man hier von einem emanzipatorischen Akt sprechen kann oder ob diese Blickführung doch nur für einzelne Künstler, nicht jedoch für eine schwarze Minderheit, von Vorteil ist.

USA 2014, Regie: Andy Capper, Pruduktion: VICE


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