Als wir träumten

Von  //  2. März 2015  //  Tagged: ,  //  1 Kommentar

Gewitter im Kopf
Zurzeit kann man Joel Basman in „Wir sind jung. Wir sind stark” und in „Als wir träumten” sehen. In jedem Fall spielt der Schweizer einen Deutschen kurz vor Amok

Die Geschichte würfelt zwei Dutzend Kneipen- und Kumpelcharaktere und ein Dutzend Straftaten auf den Tresen der Ereignisse. Sie knallt die Gesichter von Freundschaft und Verrat auf die Platte. Das Protokoll der Freundschaft sieht vor, dass gemeinsam gesoffen wird im Dreiklang von legal, illegal, scheißegal. Man bricht Autos auf, ohne andauernde Aneignungsabsicht. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs (strafbar nach § 248b) ist ein Tatbestand der Fünfziger, als Halbstarke die westdeutsche Justiz mit einem neuen Phänomen konfrontierten. Den kriminellen Absichten fehlten Diebstahlsmerkmale. Für die Jungen von 1990 ist das alte Spiel eine neue Sache, sie schleudern mit geknackten Schüsseln durch Leipzig. Sie räumen einen Getränkeschuppen aus und ziehen eine Demente dezent über den Tisch. Sie ziehen ihren eigenen Club auf.

Alle haben Gewitter im Kopf, jeder eine andere Art Sturm. Jedem legt Verzweiflung eine Hostie auf die Zunge. Der Geigerzähler des Wahnsinns schlägt in alle Richtungen aus. Andreas Dresen erschafft auf der Folie von Clemens Meyers Romandebüt Leipzig wie vom Höllenbrueghel gemalt.

Die Stadt scheint ihre Form verloren zu haben wie ein weich gewordener Karton. Rückblenden zeigen die Helden als Thälmännchen. Sie spielen Krieg nach Vorschrift, sie marschieren im Kreis … und Dani, von Geburt Favorit, macht dem schönen „Sternchen“ eine sehr schöne Liebeserklärung: „Ich merk mir dein Gesicht für immer.“

Merlin Rose spielt Dani als großen Zauderer. Er verrät die Kumpel in der Not, er verweigert den Beischlaf mit einer Bedürftigen im Alter seiner Mutter, er läuft ziemlich schnell weg. Aber nicht schnell genug für Kehlmann, der im Hooligan-Stil den Rahm der Nacht abschöpft. Inzwischen gehört Sternchen dem Hool-Gott. Ruby O. Fee spielt ein Mädchen von der Stange, (erst sozialistisch, dann neo- narzisstisch) bis es an der Stange strippt – vor Willensfreiheit strotzend.

Dani erkennt: „Knast ist wie Ferienlager, nur enger.“ Wenn die Freunde blau sind, werden sie tauende Eisblumen. Alkohol treibt sie aus ihren Verschanzungen. Das Leben ist ein Schuss ins Dunkle, aber dann sind Pitbull, Mark, Rico, Paul und Dani doch noch kurz Könige der Nacht in ihrem „Eastside“. Kehlmanns Truppe stoppt den Höhenflug. Der Film steckt voller Nebenerzählungen, die alle großartig sind. Paul (Frederic Haselon) verliebt sich in eine „West-Fitschi“, die in ihrem Kiosk die Lotto-Fee spielt. Pitbulls düsteres Phlegma führt eine halbe Treppe tiefer in den Keller der neuen Verhältnisse. Sein Beispiel lehrt den Zusammenhang von Pragmatismus und Verhängnis. Wenn er sagt: „Paul hätte die Drogen auch von einem anderen beziehen können“, dann verweigert er die Last der Schuld am Tod eines „Bruders“.

Ja, Pitbull (Marcel Heuperman). Manche werden alt geboren, Pitbull zum Beispiel. Sein Leben scheuert wie auf Kies.

Das Drehbuch stammt von Wolfgang Kohlhaase, der mit „Berlin – Ecke Schönhauser“ 1957 die Antwort im sozialistischen Realismusstil auf die westlichen „Halbstarken” mit Horst Buchholz gab. Rico ist ein Horst der Techno-Ära. Man versteht lange nicht, warum der Boxer und das Talent Rico, von Julius Nitschkoff exakt und mit einem Anschlag aus Granit geil auf sämtliche Punkte gebracht, aus dem Ruder läuft. Scheint doch alles da zu sein: Schnelle Hände, Herz, Biss, das Auge. Ist gar nicht logisch, dass ihm Graciano „Rocky“ Rocchigiani mehr liegt als der kubanisch eingestellte Henry Maske. Schließlich kapiert man, dass Rico nicht mehr an sich glaubt, er macht den Freunden was vor. Wie schade! Mir versetzt die Einsicht einen Stich. Aber es ist nun einmal so wie Manfred Wolke sagt: „Man kann keinen zum Sieg streicheln.”

Deutschland 2015, Regie: Andreas Dresen, mit Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Marcel Heuperman, Ruby O. Fee

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