Monsieur Claude und seine Töchter

Von  //  1. September 2014  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

Die globalisierte Familie. „Monsieur Claude und seine Töchter“ feiern das Menschenrecht auf Vorurteile.

Claude Verneuil (Christian Clavier) könnte eine Erfindung von Georges Simenon sein. In seiner Hinterhand wittert man altes Geld, ich glaube, das Geld kommt aus der Familie seiner Frau Marie (Chantal Lauby). Seine Verhältnisse im Departement Indre-et-Loire sind katholisch, gaullistisch, idyllisch. Monsieur Claude führt eine Kanzlei, der Notar erscheint behäbig und behände. Man sieht ihn angeln, Holz hacken, Bäume fällen und vier Töchter vor den Altar führen. Eine nach der anderen heiratet, aber nur die letzte Braut verspricht den Eltern die Freude einer Trauung in der Kirche, in der schon die Eltern und Großeltern von Marie ihre Verbindung vor Gott bestätigten. Großzügig sieht Marie darüber hinweg, dass der Geistliche im Amt zu den geistig Armen gehört. Solange er während der Messe die Einflüsterungen seines Taschentelefons ignoriert, darf er ihr die Beichte abnehmen. Marie beichtet Bauchschmerzen angesichts eines chinesischen, eines algerischen und eines israelischen Schwiegersohns. Zwar sind alle drei nicht bloß Passfranzosen, sondern auch französische Fußballpatrioten, aber anders sind sie doch als Maries Traumbesetzungen in den Rollen von Ehemännern und Vätern ihres katholischen Eigenfleischundblut.

Ich sitze im „Blauen Stern“ in einer Nachmittagsvorstellung, „Monsieur Claude und seine Töchter“ ist ein Familienfilm (von Philippe de Chauveron). Das Kino ist ein Kleinod des Ostens in Pankow, im Publikum überwiegen gesetzte Paare in beigen Windjacken. Sie könnten in diesem Kino das Glück der einträchtigen Zweisamkeit schon vor einem Vierteljahrhundert und im Verlauf der Zwischenzeit in größerer Besetzung genossen haben. Nun sind sie wieder allein zu zweit.

Verschwindend sind die Rinnsale der Lebensläufe im Nil der Geschichte. Das Ehepaar Verneuil erkennt Frankreich nicht wieder in der Pariser Peripherie ihrer Provinz. Es erträgt die Beschneidung eines halbjüdischen Enkels mit der Andacht vor den Kopf Gestoßener. „Das macht aus eurem Enkel doch noch keinen Juden“, tröstet eine Tochter. „Vorhaut ist unhygienisch.“ In den Ohren des Advokaten klingt das wie ein Schmutzvorwurf. Monsieur Claude revanchiert sich mit einer spitzen Bemerkung, die Marie kupiert. Eine Szene wie aus dem richtigen Leben. Der jüdische Schwiegersohn David (Ary Abittan) trägt eine Geschäftsidee von einem Kreditinstitut zum nächsten. Er will eine Allianz aus Bio & Koscher schmieden, der Film unterläuft mit klischeehaften Darstellungen das Klischee vom geschäftstüchtigen Juden. Der Banker Chao (Frédéric Chau) hilft ihm auf die Sprünge, indem er einen größeren Markt anpeilt, in dem die Kombination von Bio & Halal einschlagen könnte. David streitet mit seinem arabischen Schwager, Rechtsanwalt Rachid (Mehdi Sadoun), über den richtigen Zeitpunkt der Beschneidung. Die Vorurteile federn aus Prägestöcken, sie sollen leicht genommen werden als Unterhaltung. Wenn man über eine Gemeinheit lachen muss, um von einer passenden Antwort nicht selbst geprellt zu werden, ist man auf dem falschen Dampfer. Monsieur Claude dampft mit Marie und der Vorhaut eines Enkels, die den Altvorderen zur Ehrengabe gereicht wurde, vorzeitig in sein Department ab. Er raucht vor Wut. Ein Malheur im Park der Verneuils überlässt die Vorhaut tierischer Verdauung. In Paris beharken sich die Schwager rassistisch, sie greifen nach Kräften an – jeder ein Hool seiner Herkunft. Die verheirateten Schwestern Ségolène, Isabelle und Odile (Frédérique Bel, Julia Piaton, Émilie Caen) machen immer wieder alles gut – drei Engel für Claude. Sie initiieren Ereignisse der Familienzusammenführung, während die Mischpoke in der dritten Generation unablässig bildschöne Verstärkung kriegt. Babycasting ist auf jeden Fall ein journalistisches Thema. Ihre Männer ermahnen die Schwestern zu Gelassenheit, sie üben mit ihnen Rücksicht wie Vokabeln einer Fremdsprache. Doch dann kommt der Katholik für die vierte Schwester ins Spiel und die drei Ehepaare der zweiten Generation lernen von jetzt auf sofort Geschlossenheit. Diskriminierte beim Diskriminieren. Laure (Élodie Fontan) meldet den Eltern einen Schauspieler namens Charles als zukünftigen Schwiegersohn. Sie erwähnt die fundamentalistische Bibelfestigkeit seiner Familie und verschweigt ihre Hautfarbe. Marie und Claude sind entzückt, „Charles?“, fragt Gaullist Claude, „Charles wie de Gaulle?“ – Endlich einer von uns! Kurz darauf fragt Claude sich und seine Frau: „Was haben wir dem lieben Gott bloß getan?“ Er weiß nun, dass Laures Katholik ein Schwarzer von der Elfenbeinküste ist. Der Film wartet mit vorhersehbaren Überraschungen auf. Für ein Versöhnungsessen kauft Marie drei Puten, eine ist koscher, eine halal und eine peking. Die Schwiegersöhne essen sich dann gegenseitig Fleisch vom Teller. Charles (Noom Diawara) hat einen mächtig im Leben stehenden Vater. Im Vergleich rassistischer Vorurteile schlägt er Monsieur Claude um Längen. Er stellt sich als Feind von Mischehen dar. Auch sonst hält er wenig von Weißen. Am Ende sind die Patriarchen ziemlich beste Freunde – die Doppelspitze einer Gang. Sie illuminieren ihre Abgründe zu ihrem Vorteil mit Verständnis. Dieses Verständnis fehlt dem Film. Claude und seine Töchter ignorieren die Virulenz ihres Themas. Sie favorisieren potente Bewerber im Toleranzbereich ihrer Klasse. Rassismus handelt in seinem verhandelbaren Spektrum jedoch nicht von ethnischer -, sondern von sozialer Differenz. Wäre die Justiziarin Laure einem schwarzen Küchenhelfer auf den Leim der Faszination gegangen, sähe die Sache anders aus. Die soziale Stämmigkeit von Charles` Herkunftsfamilie ist ein Joker im Spiel. Im Grunde findet hier nur Globalisierung in der Familie statt. So spricht die Zukunft aus ihren Protagonisten. Sprachen, Räume, Verbindungen – Eine weitsichtige Organisation von Wettbewerbsvorteilen, die Familie als Konsortium, mehr ist das nicht.

Frankreich 2014, Regie: Philippe de Chauveron

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