Der treue Husar

Von  //  9. März 2013  //  Tagged: , , , ,  //  1 Kommentar

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Sano/Eskalierende Träume hat mir nach meiner Besprechung von Rudolf Schündlers GRÄFIN MARIZA diesen Film des gleichen Regisseurs gegeben. Er sagte, ich könne ihn gern behalten, und, wenn ich mich recht erinnere, klagter er, das sei der schlimmste deutsche Film, den er je gesehen habe. So fordert man natürlich den Filmflüsterer in einem Menschen heraus. Ich glaube, es ist dieser Haufen von in Ehe-Sackgassen resignierten, erfolglos lüsternen, alten Männern, den Sano so deprimierend findet in dem Film. Diese von altmodischer Biederkeit überzogenen Menschen, die wie verstaubte Zimmerpflanzen am Fenster über dem Heizkörper vertrocknen. So kann man das tatsächlich sehen. Doch, ach… lesen Sie selbst.

Der treue Husar 1Mein neuster Filmfetisch: Schaufenster in alten Filmen. Im Nu lass ich die Story und die Leute stehen und gaffe in die Fenster, die meine ersten Ausblicke in das werbende, erwachsene Leben draußen waren. Ich weiß noch, wie die Bälle rochen, die sie in den Kaufhäusern verkauften. Die trockenenen Luftschlangen, die qualvollen Masken. Wie eigenartig, alles.

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Eberhard (Paul Hörbiger) hat in so ein Kaufhaus eingeheiratet. Er ist da völlig überflüssig; manchmal verkauft er zum Spaß den Damen Schuhe, unter den misstrauischen Blicken seiner strengen, tüchtigen Gattin/Chefin. „Diese Schuhe sind außen schmal und innen weit“, greift er in einem Verkaufsgespräch schlitzohrig aus der Luft. Er hat Schnaps im Stromkasten versteckt, für sich und seine Freunde, wenn sie ihn besuchen – harmlose, humorige, alte Säcke, die sich vergessen, wenn sie nach Mädchen schauen, und sich nur so viel erlauben wie sie vor ihren Frauen verbergen können.

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Karneval steht an; das Kaufhaus Wacker castet Models, um die extravaganten Kostüme vorzuführen. Darunter, incognito: Anita, Tochter von Otto, einem verwitweten Geschäftsfreund der Wackers. Sie soll auf Wunsch der älteren Generation mit Wackers Sohn Fred (Harry Meyen) verkuppelt werden. Sie will sich den jungen Mann unerkannt ansehen und nimmt zur Verstärkung ihre Freundin Uschi mit, die „gern auch mal einen richtigen Fasching erleben will“, wie sie Anita mit dunkler, stiller Sehnsucht gesteht.

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Im späteren GRÄFIN MARIZA hat Schündler quirlige Häufchen hübscher Mädchen in adretter Kleidung wie kleine Quellen eingebaut; hier geschieht das Gleiche etwas gediegener. Die fein auf ihre Körper geschneiderte Mode trägt viel zu der jovialen Grundfreundlichkeit der Atmosphäre bei. Ich kenne das ja auch: Man fühlt sich vielleicht strapaziert und down, aber dann zieht man sich etwas Gutaussehendes an, schaut in den Spiegel, und alles scheint in Ordnung – man sieht uns unser Elend nicht an; das hilft manchmal ein bisschen. Dickstoffige, hochwertige Damenwintermäntel, großzügig geschnittene Herrenjackets mit eingewebten Karo- oder Jacquardmustern (siehe unten): So etwas gibt Halt.

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Diese opulenten, bürgerlichen Wohnungseinrichtungen, stoffreich, erstickend. Und doch. Die Eltern meiner Freundin wohnten so. Im Barschrank stand zum Trost Cointreau. – Die folgende ist eine der großen Szenen in DER TREUE HUSAR. Die in allen miefigen Ecken jahrelang gelagerte, lähmende Verhaltenheit, das plüschig-troddelige Ambiente, die bemüht originellen Kostüme, die halbnackten Girls mit ihren braven, rundlichen Fünfzigerjahrebeinen, die schamlosen Stielaugen von Paul Hörbigers Freunden: Eins schwappt ins andere, es ist toll (verhältnismäßig).

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Gott, Harry Meyen (unten). Die weiche Fiebrigkeit der Stimme, die Kinski ins Gespenstische steigerte, hat Meyen einfach, ohne mehr daraus zu machen. Dazu die Melancholie, das feingesponnene Umwerben seiner zukünftigen Frau. Sein lebhafter, frecher Freund Peer Schmidt nennt Mädchen anerkennend „Knallkirschen“ oder „flotte Motten“. Die beiden haben eine Skifflejazzband, in der ein damenhaftes Mädchen Klavier spielt, das sich später, auf dem finalen Faschingsball, mit Anitas beträchtlich älterem, locker-jovialem Paps anfreunden wird, den ich mir, glaube ich, auch ausgesucht hätte.

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„Toll, diese heiße Musik“, sagt versonnen die ruhigschöne Uschi, als sie und Meyen außerhalb des Partytreibens auf dem Balkon verschnaufen, „da liegt doch alles drin. Die Unruhe, das Tempo, die Lebensangst unserer Zeit. Manchmal kommt es mir vor wie Kinder, die im Dunkeln Furcht haben, und dann laut pfeifen und singen.“ Wie gepflegt und melancholisch sie nach dem Spaß mit Cola, Jam-Session und dem vergnügt-beknackten Ohrwurmliedchen („Wir, wir, wir haben ein Klavier, vier, vier“…) bei einander sitzen. Ihre alten Herrschaften treiben es währenddessen auf dem Faschingsball lustiger, betrunkener, verzweifelter und verlotterter.

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Uschis erklärender Satz über die heiße, unruhige Musik dient als hilfreiche Brücke zwischen den Generationen. Wie überhaupt der ganze Film eine grundsolide Konstruktion ist, um eine bestimmte Art, zu leben, als Komödie zu sehen. Er ist auch eine betulich humorvolle Lektion für Frauen im Umgang mit Männern, damit die Strukturen trotz unerwarteter Gefühle nicht zusammenbrechen. Ich sehe in letzter Zeit viel zu dem Thema. Wie setzt man der Sexualität Grenzen und kriegt große Gefühle klein? Besonders in den 50er Jahren zeigten Filme den modernen Mädchen, wie sie mit Charme auf sich achten und sich bewahren konnten, ohne den entflammten Jungen allgemein aus dem Weg gehen oder sie vor den Kopf stoßen zu müssen. Die Mädchen sahen, dass sie sogar mit verstärkter Anerkennung rechnen und sich als Heiratskandidatin empfehlen können, wenn sie sich rechtzeitig aus den Jungenarmen herauswinden. So halten es auch Anita und Uschi. Womit man rechnen muss, wenn man den Männern – d. h. auch: der eigenen Sexualität – nachgibt, zeigt Veit Harlan in LIEBE KANN WIE GIFT SEIN, den ich später noch besprechen werde.

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In der Ehe kommen dann ganz andere Herausforderungen auf einen zu: Sexualität wird Pflicht, die Männer müssen treu bleiben und dürfen deshalb nicht zu viel trinken; die Gattinnen (siehe auch: DAS BEKENNTNIS DER INA KAHR) bekommen infolge dieser Erziehungsaufgabe etwas Pseudoweises, Mahnendes und Totalverzichtendes. Ihre fülligeren Körper werden von leistungsstarker Miederware zu kompakten Walzen geformt, die Brüste sitzen fest darauf; zauberkreuzgestützt und formbewusst halten die Frauen die Gesellschaft und ihre Leben zusammen und bringen ihre Kinder und Männer auf Kurs – mit penibler Achtsamkeit, nachsichtig-spöttischer Kritik oder entsagender Geduld.
Auf der Angestelltenebene wartet die Wirtschafterin der Wackers fein und tapfer, dass ihr ebenfalls bei Wacker angestellter Freund sich entschließt, sie zu heiraten und ihrem benachteiligten Kind ein Vater zu werden. Das Kind – der Kinderstar Roland Kaiser (nicht der Sänger) – ist ein kleiner Heinz Erhardt, Seelenverwandter des dicklichen, lederbehosten Jungen aus DER WILDERER VOM SILBERWALD.

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Auf der Führungsebene zügelt Ernestine Wacker ihren Mann Paul Hörbiger verkniffen und ist nur unter vielen Bedingungen zu Späßen und wohl auch zum Sex bereit. Hörbiger versucht immer wieder, sie weicher und süßer zu stimmen, sie aber bleibt eisig, und er ist ihr verfallen. Seinen Freunden geht das mit ihren Frauen nicht anders. Brauchen/wollen sie das? Glauben sie, ohne Zucht zu verlottern, zu kindisch, zu versoffen zu werden? Oder ist die weibliche Nörgelei sogar ihr Fetisch geworden? Ernestine hat ja in ihrer Barschheit durchaus etwas Cooles. „Sie hätten Dekorateur werden sollen“, sagt sie trocken, als dem Kellner die Speisen irgendwo landen, wo sie nicht hingehören.

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Die Schündler-Leute sind so handlich, klein, so konturiert und tiefenscharf, und alle können prima spielen, besonders Hörbiger, der alte Hase. Er hat ein schnuckeliges, goldiges, wonniges, rasierwasserduftendes Lachen, in dem er ganz dahin schmilzt. Süß sieht das aus. Auch der Umgang seiner Freunde mit einander ist lustiger Stammtischstil („So viel kann ich gar nicht trinken wie ich möchte, dass der Eberhard bezahlt“, ulkt einer bei einer Runde). Als die Karnevalsknallkörper losgehen, werden viele im Kino noch an den Krieg gedacht haben. Alle im Film lachen, als jemand „volle Deckung!“ ruft; erleichtert, dass alles so harmlos geworden ist. Da wirkten dann die „Lustigen Ehekriege“ (s. Trailer) erträglich. Sie gehörten zu dem Preis, den man bezahlte, um sich aus einem Haufen Schuldiger, Traumatisierter und Verrückter in wohlhabende, wirtschaftswunderliche, den Schein von Wohlverhalten wahrende Bürger zu verwandeln.

Deutschland 1954, Regie: Rudolf Schündler

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Diese rasch auseinanderstrebenden, scherbenhaften Zacken benutzen sie einmal als Überleitung zwischen zwei Szenen. Schick.

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Und dieses Kleid musste ich auch noch irgendwie hier unterbringen. Übrigens wieder so eine Frau, die zärtlich Sessellehnen anfasst. (Vorschlag für Google-Fetisch-Suchbegriff).

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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