Filmtagebuch einer 13-Jährigen #5

Von  //  7. Januar 2013  //  Tagged: , ,  //  1 Kommentar

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Das auf dem Bild oben war ich (1962?) auf dem heißen Pflaster Köln, bei einem Familienausflug. Bevor ich Stück für Stück durch eine andere Person ersetzt wurde. Fünfzig Jahre später (das ist nicht wahr, ich bin mir sicher!), fünfzig Jahre später angeblich war ich bei „kino-climates“, dem 2. Treffen deutscher Off-off-Kinos, im Kölner Filmclub 813, Ende Dezember 2012, um Freunde zu treffen und Filme zu sehen.

Köln zwischen den Jahren war warm, ein bisschen regnerisch. Es ist keine schön anzusehende Stadt. Aber als ich zu meinem Billighotel ging… es war schon dunkel, und die Seitenstraßen waren so unverhofft ruhig und zugleich so atmosphärisch, ich wurde neugierig. Ich glaubte plötzlich: Diese Stadt hat zwar eine reizlose Fassade, aber vielleicht ist sie gleich dahinter reichhaltig und einladend, voller Geschichten. Wenn ich hier lebte, müsste ich allerdings auf meine Leber aufpassen. An viele Storys kommt man vielleicht nur mit Alkohol.

Heißes Pflaster Köln (Ernst Hofbauer, 1967)

Ich glaub, ich hab das schon mal geschrieben: Bei manchen Filmen beginne ich, anders zu atmen; ich entspanne mich und gleite in sie hinein wie in mein Element. Wäre ich schizophren (wie ein Bekannter von mir, dem das beim Fernsehgucken so ging), so würde ich eine Stimme aus den Lautsprechern hören: „Wir wenden uns persönlich an Silvia mit diesem Film, der ihr gefallen wird!“ Und ich grunze zufrieden; das Schwein hat seine Grube wieder. Andere haben Fußballspiele, ich hab das.

Ich weiß nicht, wie der Film das gemacht hat. Aber es war, als hätte ich meine kindliche Wahrnehmungsfähigkeit wieder, diese viel offeneren Sinne; ich fühlte mich aufgeweckt, die Luft schien so frisch, wie wenn es geregnet hat, die Autogeräusche waren lauter, satter, klangvoller. Auch die schmatzenden Geräusche der Faustschläge, der Sound der Pistolen und die Musik (Claudius Alzner), die mit dem Film verflochten ist… wenn solche Sinneswahrnehmungen losgehen, schaffe ich es nicht mehr, die Handlung zu verfolgen; ich habe anderes zu tun, es prasselt nur so.

Dieser Film hat jedenfalls die schönsten Filmgeräusche des Jahres. Und er hat Format, eine unerklärliche Frische und Dynamik. Seine Kölner Straßen sind voller glänzender Retroschaufenster in eine Zeit, die ich intensiv erlebt habe, ohne Verstand, aber mit offenem Mund. Für mich geht es da überall irgendwohin. Es ist nichts geschlossen. Es ist voller Blicke und Wege, denen ich folgen könnte. Als schaute sich nicht die Kamera in ihm um, sondern ich. Es wird mir bewusst, wie ungeklärt das alles ist, jedes Detail. Was ist das, diese riesige Kölnischwasserreklame auf einer Hausfassade neben einem der vielen Brachgrundstücke… Illustration der Legende, dass ein berittener französischer Soldat einst auf das Stammhaus der Parfümfirma die Zahl „4711“ gemalt hat: Eine Geschichte, die mir von den Werbefilmchen der Sechziger Jahre hundertmal erzählt wurde wie ein Märchen, und die mir deshalb lebenswichtig schien.

Aus einer vorderen Sitzreihe hörten wir den Filmjournalisten Olaf Möller, von dem die Leute so respektvoll reden, plötzlich etwas rufen und wild gestikulieren. Ich meinte, zu verstehen, dass er ein Haus (sein Haus?) wieder erkannt hatte und darüber außer sich geriet. In diesem Film, der alles unmittelbarer und präsenter macht, ist ein Haus tatsächlich etwas anderes; es ist das, was es einst war, bevor wir uns so schrecklich veränderten, wir Zombies.

Was für große, kräftige, schwer erwachsene, einschüchternde Menschen diese Leute sind, die ich in meiner Kindheit oft im Fernsehen gesehen habe. Kein Wunder, dass ich so brav war. Auf der Leinwand werden sie noch deutlicher in ihrer Rätselhaftigkeit, ihrer präzisen, markanten und gediegenen Präsenz, mit ihren Bässen und Untertönen.

Zum Beispiel Günter Ungeheuer! Dieser hintergründige, zwielichtige Mann mit dem langen Kinn und der sadistisch(?) lauernden Distanziertheit. Er tritt auf als gebügelter, zynischer Rechtsanwalt, im bedeutenden, betörend dunkel möblierten Wohnzimmer der zentralen, gutbürgerlichen Familie. Hier sind wir zuhause bei der staatstragenden Justiz, bei einem schwarzpolierten, facettenreichen Konzertflügel von einem Menschen: dem hünenhaften, zigarrenrauchenden Staatsanwalt (Richard Münch). An seiner Seite: eine prachtvoll gedeihende, kompakt in sich geschlossene Gattin im Kostüm (Klara Maria Skala). Die beiden erinnern in ihrer einigen Autorität an Loki und Smoky. Aber anders als Helmut Schmidt geht dieser Mann alleine los in das leere Fabrikgebäude, um sich von den Entführern austauschen zu lassen, gegen ihre Geisel, seinen Sohn. Seine nichts ahnende Gattin schließt inzwischen arglos ihre Haustür auf, ganz in ihrer Alltagsblase, ihre Haare sitzen noch perfekter als zuvor; man sieht, sie kommt gerade vom Friseur – so etwas wirft mich um.

Zuvor sehen wir in einem zerwühlten Bett ein nacktes Liebespaar, ein bisschen wie in AUSSER ATEM. Der Junge ist der Sohn des Rechtsanwalts, und das Mädchen ist schmelzend und vielsagend schön. Godard ist allerdings sofort weg, sobald die beiden mit einander reden wie echte, vertraute und sehr deutsche, nette Biedermenschen. Doris Kunstmann ist das, und das ist unglaublich; ich kannte sie nur irgendwie verlebt, und niemals so – so fließend, warm und sicher, schnurrend und vibrierend, in sich selbst gekuschelt. Dieses leuchtende Mädchen mit dem anziehenden, ausstrahlenden, verzauberten Körper verschwand bald nach dem Film und dessen Zeit aus der Sichtbarkeit. (Hier sieht man sie aber noch einmal so, wie ich das meine, live und backstage, mit Udo Jürgens in Leonard Cohen’s Garderobe).

Oh, Hinterhöfe, Straßenszenen! Von seinem Körperbau her ist der Film ein Sozialrealismus-Krimi-Unterhaltungsreißer; er hat das coole Flair einer kompetent geführten Old-School-Zweiradwerkstatt und riecht nach Schmieröl unter seinen Männerarmen. Live und aufregend. Man spürt, wie sehr der Regisseur es liebte, seinen Film so nassforsch in die Wirklichkeit zu pflanzen; dass er das schön frech fand, dieses aufreizend Halbdokumentarische, wenn z. B. sein Drogenmädchen über diese echte Straße torkelt, wie aus einem anderen Film, die Leute sehen sich nach ihr um. Das hat diese Fresco-Feuchtigkeit von etwas, das man schnell verwirklichen muss, weil es sonst vertrocknet. Das ist toll. Nie würde ich das hinkriegen, diese kühne, schnodderige, sichere Schnelligkeit, die für so was nötig ist.

Das Drogenmädchen ist die eine der beiden sehr jugendlichen Verbrecherinnen, die später in eine traumhaft authentische Oma-Wohnung eindringen und mit mädchenhaften, fiesen Mitteln eine grausame Tat an der alten Frau verüben: Sie erpressen sie mit der Freilassung ihres Wellensittichs und foltern sie mit ihrem glühenden Toaster, den sie ihr schließlich, angeschaltet, ins Badewasser werfen – ein Unfall, wie sie dem Kommissar später erzählen, wider besserem Wissen von ihrer eigenen Unschuld überzeugt. (Das erinnert mich an einen der Ehmkes, dieser vier dunkel behaarten, jungen, dumpfen, gewaltbereiten, sexy Halbstarkenbrüder im Übach-Palenberg der frühen 80er Jahre, der sich nach einer spontanen Gewalttat verteidigte, eigentlich sogar beschwerte: „Da kann ich doch auch nichts für, wenn der gleich blutet!“)


(links: Heißes Pflaster Köln, Mitte + rechts: Gelegenheitsarbeit einer Sklavin)

Nach dem Film kam ich an der Biertheke im Foyer ins Gespräch mit einem interessanten, jovialen Mann, der mich an den früheren genialen Koch der Übach-Palenberger Abendgaststätte „Postwagen“ erinnerte. Auch dieser Mann war Koch. Koch und Filmliebhaber und Kenner des Rotlichtmilieus; er bestätigte, dass die Szene im Köln der 60er Jahre tatsächlich, wie im Film, ein Problem mit Wiener Zuhältern hatte (der Film nennt sie die „Wiener Ratten“). Er bestand – halb im Scherz – darauf, ich müsse die Mutter meines Kollegen Marco Siedelmann sein. Oder wenn nicht seine, dann doch die meines Kollegen Sano Cestnik; wir sähen uns alle drei so ähnlich. Später versuchte er übermütig, mich zu überreden, im Film des aufmerksamen, schlaksigen Filmstudenten mitzuspielen, der mit bei uns stand. Falls man also irgendwann mal unmotiviert eine Spielhallenangestellte durch einen Film trüben sieht, die so aussieht wie ein älterer Marco Siedelmann oder Sano Cestnik: Das bin ich.

Gelegenheitsarbeit einer Sklavin (Alexander Kluge, 1973)
Dieses püppchenhafte Embryo, so knorpelig; die ganze mysteriöse Kraft ist in ihm aufgerollt, gespannt, in jeder seiner Zellen, so dass seine Füßchen richtig nachfedern, als es in der Metallschale landet, bald unter Zangen, denn das ist eine Abtreibung, die hier zärtlich, furchtlos, ästhetisch und genau gefilmt ist. Das ist ein kluger, poetischer, denkender und fühlender Film, der überallhin mitgeht mit seinen Leuten, ein interessierter Begleiter, der am Rand steht, an den Wänden, und es wissen will, sich alles ansieht in den anderen Leben. Schlierig schmutzige Fensterscheiben, dahinter das ungenügende Licht der tristen Wohnungen, Büros und Beziehungen, des sozialen Elends nicht mal richtig armer Leute. Sie gehen so bedrückend nüchtern und spaßlos miteinander um, so absurd und übertrieben, dass es satirisch wird. Besonders die Männer, ganz besonders die politischen. Da ist ein stetiger, feiner, subtiler Humor wie aus dem Weltall. Ich mag auch den inspirierenden, sporadischen Collagenstil, mit den assoziativ dazwischen geschnittenen Bildern von ganz woanders, aus Märchenbuchillustrationen, Scherenschnitten… und ich mag Alfred Edel, diesen geheimnisvoll schrägen Mann im Mond, wie er sich mit einem seltsamen, burlesken Vergnügen in jegliche ihm noch so wesensfremde Rolle hineinsteigert.

Nackt im Sommerwind (Doris Wishman, 1965)
„Naive Kunst“, las ich darüber, und es stimmt. Die Protagonistinnen (eigentlich nur eine, in einer Doppelrolle, mit mal einer blonden, mal einer dunklen Perücke) sind wie fleischgewordene, lichte, mädchenhafte Barbiepüppchen. Sie sind Zwillingsschwestern und verlieben sich in denselben Mann, ihren Chef. Am Ende bekommt die Brünette den Chef und die Blonde den Chef des Chefs. Manchmal bewegen sie sich angezogen in ihrer absurden, aufgeräumten Puppenwohnung oder im Büro, öfter aber nackt in einem heiteren, anständigen Nudistencamp in zauberhaft sommerlicher, parkähnlicher Natur. Wenn man in der richtigen Stimmung ist, muss man das mögen. Aber ich war nicht in der richtigen Stimmung, und irgendetwas zwischen mir und Doris Wishman stimmt auch nicht. Etwas in diesem Film und auch in ihrem A NIGHT TO DISMEMBER, den ich vor kurzem sah, bringt mich gegen sie auf, unterschwellig, vielleicht ungerecht, ich verstehe es selber nicht. Etwas in ihrer Verschrobenheit, obwohl ich Verschrobenheit oft mag. SATURNUS des Aachener Filmers Bruno Sukrow zum Beispiel (an den mich dieser Film leicht erinnerte) mochte ich doch richtig gern. Und besonders TANJA, DIE NACKTE VON DER TEUFELSINSEL von Julius Hofherr war doch in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich, und auch den fand ich entzückend. Hm.

Lolita am Scheideweg (Jess Franco, 1980)
Der letzte Film des Abends, ich war müde, aber ich fühlte mich sehr wohl mit diesem Film, in dem alles seidig fließend, gleitsichtig und glitschig war. Oft geriet man mit ihm in ein labyrinthisches, futuristisches Neo-Art-Deco-Haus am Meer, wo ein perverses, manipulatives Luxuspärchen eine nackte Frau als Hündin hält und nun die unschuldige Katja Bienert umgarnen und zerstören will. Es ist sehr schwül und suggestiv, kopflos und obsessiv. Wie wenn einem der Verstand und die Willenskraft fehlen, zu entrinnen und sich zu retten aus einer unguten Geschichte, die einen zugleich fesselt. Es erinnert an diese aufdringlichen Phantasien/unheilvoll sexuellen Stimmungen, die manchmal aus der Atmosphäre einer Landschaft oder eines Hauses heraus entstehen, wenn man spazieren geht. Ich dachte immer, man fühle sich vielleicht auch unter Drogen so, aber ein Freund sagte, nein, das sei anders. Dann ist das vielleicht nur so bei körpereigenen Drogen. Behexende Glitzerstoffe, nackte, nahe Haut, feuchte Zungen, Lippen, Augen, Brüste, Hände, in einem farbigen, langsamen, schwankenden, sich drehenden Gebilde… Ich glaubte, jemand habe mir erzählt, ein Freund sei mal während eines Jess Franco Films in einem Kino aufgesprungen und habe gerufen: „Ich möchte jetzt auch Sex haben“, aber ich hatte das nur falsch verstanden.

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Über den Autor

Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten.

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Ein Kommentar zu "Filmtagebuch einer 13-Jährigen #5"

  1. Manfred Polak 8. Januar 2013 um 22:19 Uhr · Antworten

    und ich mag Alfred Edel

    Ich auch!

    diesen geheimnisvoll schrägen Mann im Mond, wie er sich mit einem seltsamen, burlesken Vergnügen in jegliche ihm noch so wesensfremde Rolle hineinsteigert.

    Genau! :-)
    IN GEFAHR UND GRÖSSTER NOT BRINGT DER MITTELWEG DEN TOD ist auch ein schöner Film. Schon allein wegen der „Beischlafdiebin“ (was für ein tolles Wort).

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