Forced Entry – Vergewaltigung im Film

Silvia: Maria und ich haben unsere kleine Reihe nach dem Titel des ersten Films benannt, den wir in diesem Rahmen besprechen wollen. (Ich möchte allerdings nur ab und zu mitschreiben, weil ich schon so viele andere Felder bestelle, die ich nicht vernachlässigen möchte.)

Der Titel hat etwas von dem ungeheueren Schrecken darüber, dass jemand sich über den absoluten Willen, ihn nicht in seinen Körperräumen haben zu wollen, hinwegsetzt und trotzdem eindringt. Aber es steckt auch etwas von den Motiven des Täters darin. Das aggressive sexuelle Verlangen eines draußen stehenden Mannes könnte mich manchmal rühren (je nachdem, was er für einer ist), wenn ich mir nicht vor Augen hielte, dass ich oder eine meiner Genossinnen es auszubaden hätten. Man kann nicht über sich verfügen lassen, nur weil man etwas hat, wonach ein anderer sich sehnt. Dafür ist man selbst zu wichtig. Man kann nicht zulassen, dass einen eine fremde Sexualität anspringt, die Situation zu ihrer macht und einen gar nicht richtig sieht – jedenfalls nicht so wie man sich selber sieht.

Aber Filme sind Träume. Jedenfalls die, die mir am meisten etwas sagen. Sie sind uns vielleicht so wichtig geworden, weil wir Träumen nur wenig Aufmerksamkeit widmen. Sie sind die vielen Arme, die herausragen aus der Realität, die wir uns durch mannigfaltige Ausschlussverfahren geschaffen haben. Sie sind das, was wir ausgeklammert haben; in ihnen gelten nicht die gleichen Gesetze und Grenzen. Ich möchte das vorausschicken, weil mir gesagt wurde, dass manche ein Problem damit haben könnten, wenn wir Vergewaltigungen in Filmen manchmal anders behandeln als in der Wirklichkeit.

Ich sehe das gespalten: In Träumen wie in Filmen gibt es (1) Vergewaltigungen, die sehr nah an der „Realität“ sind. Ernsthafte, kritische Darstellungen, die die Brutalität des Täters und die Angst und Hilflosigkeit des Opfers thematisieren. Aber es gibt auch (2) solche, die eher sexuelle Phantasien sind und es auch bleiben wollen. Viele Frauen haben sie. Manche Männer auch. Sogar manchmal mit sich selber in der „Opfer“-Rolle. Und es gibt verwirrenderweise viele fließende Übergänge zwischen 1 und 2.

Ich bin ziemlich offen geworden in den letzten Jahren. Ich denke, wir sterben doch alle irgendwann, vielleicht schon bald, was soll der Schwindel! Also:

Ich hatte ein Erlebnis mit einem Vergewaltigungsversuch, als ich sechsundzwanzig war, das mir bis heute zu denken gibt. Ich war ein innerlich heißblütiges und emotional überdimensioniertes, in meinem Verhalten aber braves Mädchen. Also habe ich mich nach der abgebrochenen Vergewaltigung (ich hab um Hilfe geschrien, ein Spaziergänger rannte herbei, der Junge rannte weg) so verhalten, wie es gesellschaftlich nahe lag. Ich hab ihn angezeigt, und er kam ins Gefängnis. Das war falsch. Alle hätten diesen Jungen anzeigen dürfen, nur nicht ich.
Es war mein erster spontaner Sex mit einem völlig fremden Jungen. Klar, nicht spontan von meiner Seite aus. Aber das gerade war es: Ich war nicht schuld am Sex, ich hatte keine Chance, zu zweifeln oder zu entfliehen. Das ähnelte so sehr meinen Träumen, dass ich später dachte: Du kannst so etwas doch nicht so lang schon halbbewusst wünschen, und wenn das Leben es erfüllt, zeigst du den Jungen dafür an! Ich war nicht erregt bei seiner Tat; ich hatte zu viel Angst, er könnte doch ein Messer haben und mich töten. Aber in den Wochen danach war es sehr schlimm. Ich war außer Rand und Band, vollkommen sexualisiert, und erschrocken und verzweifelt darüber, dass ich so war.

Ich hätte gewünscht, statt meines Vergewaltigers hätte der scheue Junge, in den ich zu der Zeit verliebt war, mit mir geschlafen. Aber der war genau so züchtig wie ich, ich hatte einen festen Freund – wir haben uns nicht einmal geküsst oder auch nur den Arm des anderen berührt oder so etwas. Stattdessen fiel dieser fremde Asi-Junge über mich her. Er erzählte dem Kommissar im Verhörraum, in den ich durch ein Spionglas sah, dass er sich vorher Pornofilme angesehen hatte. Was die Veröffentlichung dieser Geschichte in einem Filmblog hinreichend rechtfertigt ;-)

Meine Umgebung war voller Mitleid für mich und verurteilte den Jungen. Wer sich unerwartet anders verhielt, war mein Vater. Ich erzählte ihm von der Fast-Vergewaltigung (allerdings nicht von meinen sexuellen Gefühlen danach) und dass ich Mitleid mit dem Jungen habe, und er sagte: „Er kam wohl einfach nicht dagegen an. Die drehen durch dann. Wir hatten solche Fälle auch im Krieg.“ Das fand ich groß. Diese Unaufgeregtheit, obwohl mein Vater mich liebte, und den souveränen Mut, sich so sein und reden zu lassen. (Silvia Szymanski)

Maria: Silvia hat mich gestern gefragt, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen sei, eine Reihe über Vergewaltigungsfilme aufstellen zu wollen. Warum ich darüber schreiben möchte. Ich erinnerte mich daran, dass ich ursprünglich „Naked“ von Mike Leigh besprechen wollte und einem Freund davon erzählte, der fragte, ob das nicht dieser „fiese Vergewaltigungsfilm“ sei. Ich stutzte. Ich hatte keine Vergewaltigung bemerkt. Ich glaube, dass dieses Stutzen, und so habe ich es auch Silvia gegenüber beschrieben, die Staubflocke war, die eine ganze Lawine von diffusen Gedanken zum Thema Vergewaltigung und Film ausgelöst hat, und heraus kam dann diese Idee.

Als ich noch jünger war, redeten Freundinnen von mir in betrunkenem Zustand über ihre „Vergewaltigungsphantasien“, die um Sex mit fremden Männern kreisten, und zwar in einer etwas brutaleren Variante, als das, „was sonst so läuft“, wie es kichernd hieß. Ich dachte damals, dass weder das, was die da hochrot von sich gaben (Straßenecke, Höschen zerreißen, Analsex etc.), noch das, was mir ab und an durch meinen verwirrten Kopf ging oder geht, Vergewaltigungsphantasien waren bzw. sind.
Wenn ich erzwungenen Sex phantasiere, will ich diese Szenen nachempfinden, ich will selbst in der Position des Opfers sein, und das ist eine paradoxe Situation, denn ich will etwas, das durch absolutes Nicht-Wollen definiert ist. Ich will, dass ich nicht will. Wenn ich mir vorstellen würde, von einem LKW überfahren oder von einem Verrückten erstochen zu werden, käme das wohl näher heran an eine wirkliche Vergewaltigungsphantasie als diese wirren Konstrukte.
Dennoch gibt es sie im Kopf und im Film, wo, wie Silvia es so schön geschrieben hat, verwirrend viele Übergänge zwischen solchen Phantasien und den ernsthaften Darstellungen von Vergewaltigungen bestehen. Und das wollen wir uns genauer ansehen.

Ein Bekannter sagte, wir würden mit solch einer Reihe reale Vergewaltigungen glorifizieren. Das ist so dumm, dass ich dazu gar nichts sagen möchte und auch nicht muss. Und auf seinen Einwand, ob wir keine Angst hätten, mit unseren Beiträgen Wichsvorlagen für Perverse zu liefern, möchte ich nur entgegnen: Leute holen sich auf alles einen runter, was geschrieben steht, selbst auf die Kreuzworträtsel in der Fernsehzeitschrift. Da macht man nichts dran. Und warum auch. In diesem Sinne: Go ahead. (Maria Wildeisen)

Wir werden in den nächsten Tagen unsere Serie mit dem berüchtigten Porno FORCED ENTRY beginnen. Der Protagonist ist ein böser Vietnamveteran. Dem Film wurde die Ausschlachtung der eingeworfenen Doku-Schnipsel aus dem Krieg vorgeworfen. Und natürlich seine Brutalität. Wir gucken ihn morgen zusammen.

Weitere Filme bei Hard Sensations, in denen Vergewaltigungen eine wichtige Rolle spielen:
Rosen blühen auf dem Heidegrab (Hans Heinz König, 1952)
Serial Rapist (Koji Wakamatsu, 1978)
The Bunny Game (Adam Rehmeier, 2010)
Ein Mann sieht rot / Death Wish (Michael Winner, 1974)


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11 Kommentare zu "Forced Entry – Vergewaltigung im Film"

  1. Bartel 22. September 2013 um 13:44 Uhr · Antworten

    Eure Meinung zu „Twentynine Palms“ von Bruno Dumont würde mich zum Beispiel interessieren.

    • Eckhard Heck 22. September 2013 um 13:51 Uhr ·

      Habe ich dort > http://hardsensations.com/2011/12/dvd-twentynine-palms/ besprochen. Auf den Aspekt der Vergewaltigung bin ich aber nicht näher eingegangen.

    • Silvia Szymanski 2. Oktober 2013 um 15:46 Uhr ·

      Gute Idee, Bartel! Ist notiert.

  2. Ultrastruktur 17. September 2013 um 21:41 Uhr · Antworten

    Hey, ein interessantes Thema von euch: Eventuell interessiert ihr euch auch für diesen Film, es ist ein tschechischer aus den 70er Jahren über einen vergewaltigenden Trucker, das intessante an diesem Film ist sicher das Verhältnis zwischen ihm und einem Vergewaltigungsopfer. Er hilft ihr später beim Umzug. Ihr müsst den Text dazu nicht lesen, es ist ziemlich linear und langweilig geschrieben aber immerhin die Bildauswahl ist toll. :)

    http://dirtypictures.phpbb8.de/post143180.html#p143180

    Liebe Grüße

  3. Nadja 16. Juni 2013 um 19:31 Uhr · Antworten

    Hallo,

    wollte nur mal anmerken dass mir eure Reihe bis jetzt sehr gut gefallen hat. Ich fand auch dass der Aufbau als Dialog sehr interessant und erfrischend ist. Besonders schön dass ihr einen meiner Lieblingsfilme von Dario Argento besprochen habt, Stendhal Syndrome. (Ein Regisseur der die eigene Tochter in seinem Film gleich zweimal vergewaltigen lässt, ich frag mich wie die Dreharbeiten wohl gewesen sein mögen.)

    Aber erstaunlich dass ihr bis jetzt noch keinen japanischen Film besprochen habt, wo das doch fast die Heimat der Vergewaltigung im Film ist ^^ ähem

    Laut Splatting Image gibt es eine ganze Serie von Vergewaltigungsfilmen von dem Regisseur Yasuharu Hasebe. Wohl ein etwas zwiespältiges Vergnügen: Okasu (Rape!,1976); Boko Kirisaki Jakku (Assault! Jack the Ripper, 1976); Reipu 25-JI Bokan (Rape! 13th hour, 1977);Osou!! (Attacked!, 1978); Yaru! (Raping, 1978)

    Reipu klang dabei am interessantesten, weil dort ein Vergewaltiger einen Tankwart zu seinen Verbrechen mitnimmt und am Ende selber von einer Streetgang vergewaltigt wird.

    Mein persönlicher Favorit aus Japan wäre Zwei Mal Jungfrau / Yuke Yuke Nidome no Shojo
    von Kōji Wakamatsu aus dem Jahre 1969. Der lief sogar vor einiger Zeit mal auf ARTE.

    Ich habe auch mal eine Interview-anfrage geschickt für die Kaleizette vom Kaleidoskop Filmforum in Aachen, aber leider keiner Antwortbis jetzt erhalten.

    Auf jeden Fall hoffe ich dass noch mehr Artikel zu dem Thema kommen.

    • Silvia Szymanski 17. Juni 2013 um 10:57 Uhr ·

      Na so was. Gestern nachmittag haben Maria und ich uns wieder zum Filmgucken getroffen und uns zufällig ausgerechent „Reipu“/“Rape!“ angesehen. Wir hatten ihn schon länger auf der Liste, aber immer wieder verschoben. „Yuke Yuke Nidome / Go go second time virgin!“ kommt mir auch oft in den Sinn. Habe viel Gutes über ihn gehört. Ich kenne leider noch nicht viel von Wakamatsu, obwohl ich glaube, dass ich ihn sehr mögen könnte. Ich liebe sein „Serisal Jûsan-nin renzoku bôkôma“ aka „The Violent Man Who Attacked 13 People“ aka „Serial Rapist“ (unter dem Titel hab ich ihn auch auf Hard Sensations besprochen, bevor Maria und ich unsere Reihe starteten). Sehr gut fand ich auch „Hitozuma shudan boko chishi jiken“/“Rape and death of a Housewife“ von Noboru Tanaka. Den haben wir auch für unsere Reihe auf die Liste gesetzt.

      Oh, du hast uns eine Anfrage wegen eines Interviews geschickt? Das muss untergegangen sein. An welche Adresse hast du es denn geschickt? Sonst nimm meine Emailadresse: silvia.szymanski@gmx.de. Machen wir natürlich gern.

  4. Philip Siegel 24. Januar 2013 um 10:54 Uhr · Antworten

    kleiner hinweis für interessierte: das buch PORNO IN DEUTSCHLAND – REISE DURCH EIN UNBEKANNTES LAND. grüße aus köln. philip siegel

    • Eckhard Heck 24. Januar 2013 um 11:10 Uhr ·

      Yo, is bekannt. Allerdings nur der Anleser. Können wir ein Rezensionsexemplar haben? Dann werden wir das besprechen.

  5. Sano 2. Januar 2013 um 15:31 Uhr · Antworten

    Wow, toller Text! Klingt alles sehr interessant, vor allem der Tonfall und die Dialogstruktur. Hoffentlich werdet ihr Beide weiterhin Interesse an dieser Vorgehensweise entwickeln.

  6. Eule 18. Dezember 2012 um 13:33 Uhr · Antworten

    Ist das mutig, was ihr hier macht? Ich habe keine Ahnung. Alltäglich ist die Thematik auf keinen Fall. Deshalb bin ich schon ziemlich gespannt, was ihr alles aus den Tiefen der Filmwelt bergen könnt, und wie ihr auch sonst die Filme, insbesondere die „skandalösen“ Szenen, anpackt. Wünsche gutes Gelingen!

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