Höhle der vergessenen Träume

Von  //  11. November 2011  //  Tagged: , , , ,  //  4 Kommentare

Werner Herzogs neuer Film Höhle der vergessenen Träume über die Höhlen von Chauvet wird allseits gelobt. Selbst Herzog-Kritiker und Doku-Muffel lassen sich von den 3D-Aufnahmen verzaubern. Ich bin weder noch, ich bin sowohl für Dokumentationen als auch für die meisten Herzog-Filme zu haben, dennoch tue ich mich ein bisschen schwer mit dieser ganz speziellen Herzog-Doku. Die Entstehungsgeschichte der Aufnahmen ist allerdings äußerst spannend. Angeblich ist es einer Fürsprache durch den französischen Kultusminister Frédéric Mitterand zu verdanken, dass Herzog überhaupt eine Drehgenehmigung bekam und die zuständige Forschergruppe zum ersten und vermutlich für lange Zeit letzten Mal „ihre“ Höhle für Filmarbeiten öffnen musste. Dem vierköpfigen Filmteam standen nur wenige Stunden Drehzeit in der Höhle zur Verfügung. Das empfindliche Klima im Innenraum darf nicht gestört werden. Man will vermeiden, dass die Chauvet-Höhle das gleiche Schicksal ereilt wie die Höhlen von Lascaux, in denen die Atemluft der Höhlentouristen für üppige Schimmelbildung an den Wänden sorgt. Unter strengen Auflagen (nur Kaltlichtlampen, strikte Begrenzung der Aufenthaltsdauer und Personenanzahl, kein Verlassen der metallenen Trittgitter, Finger weg von allem) werden die Filmer in von den Wissenschaftlern durch den sorgsam versiegelten Eingang geschleust, der sofort wieder verschlossen wird. Wir sehen das erste Wandgemälde, ein „wunderschönes Pferd, eines der schönsten in der gesamten Höhle“, so oder so ähnlich beschreiben es die Forscher.

Und hier ergibt sich für mich schon das erste Problem: Mit der Dramaturgie stimmt was nicht. Es will sich einfach keine Spannung aufbauen, da Herzog einen Großteil seines Pulvers bereits zu Beginn verschießt. Schnell sehen wir nicht nur das wunderschöne Pferd, sondern auch Löwen, Bären, Nashörner, Bisons und den Unterleib einer Frau. „Was soll da noch kommen?“, fragt man sich. Antwort: Das gleiche noch mal, aus leicht verschobenem Blickwinkel, mit einem anderen Kameratyp aufgenommen, unterlegt mit anderer Musik, in Begleitung eines anderen Forschers. Es scheint, als orientiere sich die Dokumentation nicht an filmischen Kriterien, sondern – und auch das nicht durchgehend – an der Chronologie der herzogschen Besuche in der Höhle. Anstatt die Aufnahmen zu einzelnen Höhlenräumen und Motiven zu gruppieren, die Spannung langsam zu steigern und den Zuschauer mit Hilfe der Fachinformationen auf das famose Höhleninnere vorzubereiten, springt die Reportage ständig zwischen Innen und Außen, Höhlen- und Forscherbürosequenzen, Interviews und Landschaftsaufnahmen hin und her. Man ist gerade dabei, ein besonders schönes Detail eines Wandbildes zu erfassen – zack – ist es weg, und man findet sich in einem Museumsmagazin oder in einer Interviewsituation mit einem Forscher wieder. Die Aufnahmen der fast schon naturalistischen Gemälde, der filigranen, glitzernden Ablagerungen am Stein, der Stalagmiten und -titen, die wie Riesenkorallen aus Decke und Boden wachsen, sowie der mit Calcit überzogenen Bärenknochen in der Höhle sind wirklich beeindruckend, aber ich hatte nur selten das Gefühl, genug Betrachtungszeit zu bekommen. Ich kam mir vor, als würde mir bei einem romantischen Candle-Light-Dinner ständig jemand vom Nachbartisch ins Essen quatschen.

Schwierigkeiten hatte ich phasenweise auch mit den 3D-Aufnahmen. Hatte mich Pina noch restlos vom Potential der Technik überzeugt, hing es bei Höhle der vergessenen Träume stark von der Bildsituation ab, ob der 3D-Effekt die gewünschte Wirkung zeitigte. Zugegeben, viele der Höhlenaufnahmen wirken phantastisch, vorhangartige Calcit Ablagerungen ragen aus der Leinwand, Knochen sehen aus, als können man sie greifen, und auch den Malereien auf den unebenen Wänden kommt das Verfahren größtenteils zu Gute. Gerade bei den Außenaufnahmen in der grandiosen (Fluss-)Landschaft um die Höhle herum aber flirrten mir bewegte Blätter, fliegende Vögel oder in Reih und Glied angeordnete Weinstöcke zuweilen vor den Augen. Mehrfach musste ich mir die Augen reiben, um sicherzustellen, dass sich kein Fremdkörper darin befand, und oft hatte ich das Bedürfnis, andere Bildebenen scharf zu sehen, als die, die gerade klar erkennbar waren. Es ist allerdings schwer zu sagen, ob mein Probleme mit der Technik im Kinosaal, der Kameratechnik, der Postproduktion oder meiner Physiologie zusammenhingen, deswegen ist dieser Teil der Kritik als Parenthese zu verstehen.

Von meinem persönlichen Knick in der Optik unabhängig funktionieren hingegen die Interpretationen der Wissenschaftler und Herzogs Kommentar. Mit seiner angenehm beherrschten Schlafwandel-Stimme aus dem Off verbindet Herzog die verschiedenen Sequenzen. Gerne würde man dabei überhören, wie stark manche der Deutungen ins Hypothetische abdriften; und das, obwohl die Wissenschaftler betonen, dass die Funde in der Höhle keinerlei Rückschlüsse auf die Entstehungssituation und Funktion der 30.000 Jahre alten Bilder oder die Lebensweise der Maler zulassen. Sicher ist nur, in welcher Reihenfolge die Malereien und Bärentatzenspuren an den Wänden entstanden sind, dass ein und derselbe Mensch (ein Typ mit krummem kleinen Finger) sich an verschiedenen Stellen in der Höhle verewigt hat, und dass die Höhle nicht als Wohnung benutzt wurde. Doch trotz der Unklarheiten in Bezug auf so ziemlich alles andere legen Herzogs Kommentar und die Deutungen einiger Forscher nahe, die Höhle sei eine geweihte Stätte gewesen (immerhin liegt ein Bärenschädel auf einem Stein und schaut Richtung Höhleneingang) und die Bilder hätten als Hintergrund für rituelle Tänze oder Schattenspiele gedient. Die Tatsache, dass einige der dargestellten Tiere mehr Beine als üblich aufweisen, wird als Andeutung von Bewegung ausgelegt, das verzerrte Gesicht eines Höhlenlöwens als abwehrendes Fauchen angesichts eines zur Paarung drängenden Männchens und ein leicht geöffnetes Pferdemaul als Zeichen für Wiehern. Hörbar seien die Bilder. (Von den Geistern, die dem Maler vielleicht die Hand geführt haben, und dem Jungen mit seinem Wolfskumpel ganz zu schweigen.)

Natürlich ist es nicht besonders weit hergeholt, einen derart geheimnisumwitterten Ort mit spirituellen Handlungen und obskuren Riten zu assoziieren. Aber vielleicht war auch alles ganz anders, der Maler (oder die Malerin? Ein Künstlerkollektiv?) eine Art prähistorischer Streetart-Künstler, die Höhle sein Atelier und die Wände Träger seines Portfolios. Die unterschiedlichen Löwen sind vielleicht nur die Vorstudie zu einem Gemälde im Kundenauftrag. Wer weiß, vielleicht befand sich an der Außenwand der vorsintflutlichen Groß- und Außenhandelsgesellschaft Löwemann und Söhne das damals überregional bekannte Fresco Höhlenpuma III. Vielleicht sind die in Reihe gemalten Pferde keine Herde, sondern Resultat einer Fingerübung, Wiederholungen, die der vorzeitliche Graffiti-Maler zur Perfektion seiner Strichs brauchte. Dies würde auch erklären, warum der ansonsten versierte Künstler zuweilen Beine durch knubbelige Platzhalter ersetzt: „Beine kann ich schon.“ Ganz profan. Vielleicht sind diese Etüden auch nur ein Abklatsch der „eigentlichen“ Kunst des Meisters, überirdisch schön und unwiderruflich verloren. Vielleicht dreht sich der Urheber der Werke auch gerade im Grabe um, weil er sich sowohl von mir als auch von Herzog unverstanden fühlt. Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, wenn Herzog die Bilder für sich hätte sprechen lassen, anstatt sie mit Spekulationen zu übertönen. Sie sind, was sie sind, eindrucksvolle Gemälde, naturalistisch, mit genauer Kenntnis der Tieranatomie und Fellschattierung erstellt. Deutlich, eingängig und doch rätselhaft. (Aber immer noch nicht ganz so rätselhaft wie die Passage über Albino-Alligatoren im Kühlwasser der Reaktoren von Cruas, mit der Herzog seine Dokumentation beschließt.)

Kanada/USA/Frankreich/Deutschland 2010, Regie: Werner Herzog

Der Film läuft übrigens derzeit in Aachen im Apollo

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Über den Autor

Bianca Sukrow, geb. in Aachen, ist Literaturwissenschaftlerin, Mitgründerin des Leerzeichen e.V., freie Lektorin und Journalistin. Im persönlichen Umgang ist sie launisch, besserwisserisch und pedantisch.

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4 Kommentare zu "Höhle der vergessenen Träume"

  1. Whoknows 11. November 2011 um 18:02 Uhr · Antworten

    äh,… wieso eigentlich HÖHLE DER VERGESSENEN TRÄUME?

    Man punktet gern mit berührenden Titeln. Deshalb heisst „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ in Deutschland ja auch „Vergiss mein nicht!“. :)

    • Eckhard Heck 11. November 2011 um 18:39 Uhr ·

      LOL

  2. Eckhard Heck 11. November 2011 um 17:50 Uhr · Antworten

    äh,… wieso eigentlich HÖHLE DER VERGESSENEN TRÄUME?

    • Frau Suk 11. November 2011 um 17:57 Uhr ·

      Ich vermute, weil es ziemlich oft um Mutmaßungen zur Spiritualität der ehemaligen Höhlennutzer geht und um die Frage, wie weit man sich den Menschen von vor 30.000 Jahren überhaupt annähern kann.

      Vielleicht habe ich aber auch nur einen Kommentar im Film überhört.

      Grüßle
      Frau Suk

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