After Last Season

Von  //  12. Juni 2011  //  Tagged:  //  7 Kommentare

Radio clock.

Das ist kein guter Film in irgend einem herkömmlichen Sinn und gewiss Geduld erfordernde Kost, aber klinisch betrachtet von höchster Bedeutung; er gehört in die Prinzhorn-Sammlung und sollte im Psychologiestudium gezeigt werden. I am not kidding. Ein gewisser Mark Region (der in Wahrheit anders heißt und vietnamesischer Abstammung ist) zeichnet verantwortlich für etwas, von dem der Trailer nur einen ungenügenden Eindruck vermittelt und das – abseits aller „juhu, ein neuer Kandidat für den elendsten Film aller Zeiten“-Polemik – aussieht wie das tragische Produkt eines autistischen Geistes, dem sein kleiner Film, der eigentlich ein Mystery-Thriller mit übernatürlichen Untertönen sein will und der auf den ersten Blick mit seinem seltsamen Script, dem amateurhaften Ton, der erbärmlichen Kameraarbeit, dem dementen Schnitt und der wahnsinnigen Set Decoration so inkompetent wirkt, dass BIRDEMIC daneben wie CITIZEN KANE dasteht, quasi von selbst zur Kunst gerät, ebenso seltsam wie, doch weniger penetrant-plakativ als David Lynch & Co.

Wo andere „Kult“-Regisseure unbekümmert eine eigene aus Klischees und privaten Eigenheiten bestehende Welt schaffen, die, so schräg und beunruhigend sie für den Aussenstehenden sein mag, doch in sich stimmig und stabil ist (immerhin lebt der Auteur ja darin), kann Region, ein Fremder in der Welt, nur ein provisorisches Kartenhaus aus Pappmache errichten, in dem nichts selbstverständlich ist und man scheinbar alltägliche Dinge (etwa das soziale Phänomen „Kommunikation“) so sorgsam etablieren muss wie anderswo die Konzepte der Quantenphysik. In ihrem Vakuum tun die Figuren ihr bestes, „normales“ Leben zu simulieren, es indes freilich damit ebenso ad absurdum führend wie die filmischen Konventionen. Da fällt z.B. inmitten eines Small Talks unter Studentinnen ein Satz wie aus einem Sprachlehrbuch: „My father also grew up in a small town. He stayed in this town until he was 16. Later on, his family moved away to the suburbs of a large city.“ Hierauf folgt peinliches Schweigen der Sprecherin und der Versuch, mit einem Lachen das Thema zu wechseln: „Hey, you’ve got a nice radio clock!“ Banalitäten wie diese oder die Botschaft „They’ve got printers in the basement you can use.“ (ein komplett irrelevanter Satz innerhalb einer komplett irrelevanten Szene, den man aber anstarren kann wie das Rätselwort eines Zen-Meisters) sind nur erklärbar als Versuch, eine Fremdheit zu überwinden, wobei nicht klar ist, inwieweit dies dem Macher (der von einem Interviewer als ein scheuer und nervöser Mensch charakterisiert wird, der scheinbar keine Ahnung hat, wie seltsam sein Werk eigentlich ist) bewusst war. Einzelne Indizien sprechen dafür, dass zumindest einige Befremdlichkeiten innerhalb des Films mit Vorbedacht gesetzt sind (ich denke da etwa an eine Einstellung gleich nach der „radio clock“-Szene), wenngleich Region sie anders verstehen mag als wir, doch am Ende müssen wir bekennen, dass das unergründbare „Ganz Andere“ nicht Karl Barths Gott, sondern Mark Regions Film ist.

Gewiss, man kann das alles auch einfach als Disaster belächeln und Region neben Ed Wood stellen (es gibt eine Reihe von atemberaubend absurden Momenten), doch die stille Klage einer verlorenen Seele weht durch den Film wie die kurzen, schlichten Musikfragmente, die mitunter kommen und gehen. Die offizielle Plot Synopsis spricht davon, dass die Protagonisten ihr Leben reevaluieren müssen; der Film selbst impliziert freilich, dass sie in dieser fragmentarischen, von ständigem Zerfall bedrohten kleinen Welt keine Chance haben.

USA 2009, Regie: Mark Region

Flattr this!

Über den Autor

Andreas Poletz (1185 bis 1231), aus Chorazin gebürtig, beschrieb seine Seele als »einen schrecklichen Sturm, umhüllt von ewiger Nacht«, und behauptete, dass er aus Verzweiflung begann, seine Hände und Arme zu zerfleischen und mit den Zähnen bis auf die Knochen zu zernagen (incipit manus et bracchia dilacerare et cum dentibus corrodere useque ad ossa). Ist aber nicht wahr.

Alle Artikel von

7 Kommentare zu "After Last Season"

  1. David Brelje 14. Juli 2022 um 22:51 Uhr · Antworten

    Die Szenen können langweilig sein. Einige Szenen ergeben keinen Sinn. Einige Szenen machen Sinn, aber sie sind nicht gut gemacht. Die Menschen hinter den Kulissen versuchten, experimentell zu sein. Sie sind kaukasischer Abstammung. Mark Region ist wie sie und er ist kein Asiate. Sie sind kaukasische Witzbolde. Sie entkamen aus einem Zoo und wollten ein Experiment machen, aber einige Szenen wurden langweilig. Es gibt eine Geschichte, aber der Film macht es schwierig, sie zu finden.

    The scenes can be boring. Some scenes don’t make sense. Some scenes make sense but they are not well made. The people behind the scenes tried to be experimental. They are of Caucasian descent. Mark Region is like them and he is not Asian. They are Caucasian jokesters. They escaped from a zoo and wanted to do an experiment, but some scenes became boring. There is a story, but the film makes it difficult to find it.

  2. Peter Heldt 21. März 2021 um 17:25 Uhr · Antworten

    Ein Autor bei Medium hat anscheinend Teile dieser Rezension übernommen:

    Andreas Poletz // 12. Juni 2011 // https://www.hardsensations.com/2011/06/after-last-season/
    „Wo andere „Kult“-Regisseure unbekümmert eine eigene aus Klischees und privaten Eigenheiten bestehende Welt schaffen, die, so schräg und beunruhigend sie für den Aussenstehenden sein mag, doch in sich stimmig und stabil ist (immerhin lebt der Auteur ja darin), kann Region, ein Fremder in der Welt, nur ein provisorisches Kartenhaus aus Pappmache errichten, in dem nichts selbstverständlich ist und man scheinbar alltägliche Dinge (etwa das soziale Phänomen „Kommunikation“) so sorgsam etablieren muss wie anderswo die Konzepte der Quantenphysik.“

    Andre Solnikkar // 13. Juni 2019 // https://medium.com/@solnikkar/after-last-season-2009-cb08845fd875
    „When other ‘cult’ directors create their own world of clichés and private idiosyncrasies, however weird and disturbing they may be to outsiders, they are in themselves coherent and stable (after all, the auteur lives in them). But Region can do little more than build a makeshift house of cards in which nothing is self-evident and where seemingly everyday things (such as the social phenomenon called ‘communication’) need to established as carefully as the concepts of quantum physics.“

  3. Silvia Szymanski 13. Juni 2011 um 22:32 Uhr · Antworten

    Mag sein, ich hab den Mund zu voll genommen. Etwas drängt mich manchmal dazu. Dann Beschämung.

  4. Andreas Poletz 13. Juni 2011 um 16:13 Uhr · Antworten

    Ich will nicht nach den Sternen greifen. Schon eine Erklärung des Plakats würde mich verblüffen…
    (Z.B. hier: http://cdn.fd.uproxx.com/wp-content/uploads/2009/03/after-last-season.jpg )

  5. Alex Klotz 12. Juni 2011 um 16:26 Uhr · Antworten

    Oh, oh. Ich weiß nicht, ob du noch der selben Meinung wärst, wenn du den ganzen Film sehen würdest. Aber selbst wenn die zahlreichen sinnlos wirkenden Szenen und Einstellungen einen Grund gehabt haben, war der Regisseur sehr erfolgreich darin, dafür zu sorgen, daß es vermutlich niemand je verstehen wird.

  6. Silvia Szymanski 12. Juni 2011 um 13:36 Uhr · Antworten

    Das ist ein guter Text in jeglichem Sinn. Aufregend ungewöhnlicher Film, wenn der Trailer nicht täuscht.

  7. Silvia Szymanski 12. Juni 2011 um 13:32 Uhr · Antworten

    Hui. Sehr guter Text zu einem in der Tat aufregend ungewöhnlichen Film, wenn der Trailer nicht täuscht. Ich kann es nicht begründen, aber ich bin mir ziemlich sicher, es ist alles Absicht in dem Film; der weiß, was er tut.

Schreibe einen Kommentar an Andreas Poletz

comm comm comm