The Devil in Miss Jones

Georgina Spelvin: "The truth of it is,... I love the camera"

Fangen wir mit einem der renommiertesten an. Künstler und Musiker liebten ihn in den Siebziger Jahren. Auch einige Independent Bands haben sich drauf bezogen. Und Massive Attack haben einen Song und Clip drüber gemacht. Mit Ausschnitten aus dem Film und einem klugen Interview mit der Hauptdarstellerin Georgina Spelvin als alter Frau, in dem sie wahre Sachen sagt über den Orgasmus als Moment nicht von dieser Welt: https://smotri.com/video/view/?id=v1350480d98c

Die Handlung: Schon die einleitenden Szenen sind besonders. Miss Jones, eine melancholische Frau um die 30, mit einer hübsch geformten, nicht so kurvenreichen Figur und einem ernsten, kleinen Gesicht, fleht einen älteren, ihr vertrauten, aber verstörten Mann (Gerard Damiano, Regisseur des Films) verzweifelt an, mit ihr zu schlafen. Ich kann das nicht allein, sagt sie, aber er geht nicht auf sie ein, sondern wiederholt seine eigensinnigen, ins Paranoide gehenden Sätze. Von dem sehr ansprechend und fast asiatisch-theatralisch gesprochenen, ausdrucksvoll gestalteten Dialog verstehe ich leider manches nicht. (Frau Suk wird`s  besser haben – sie war, wie ich sie verstanden haben, Austauschschülerin in einem englischen Knabeninternat.) Miss Jones, die mich ein bisschen an Isabel Allende erinnert, schaut ein letztes Mal aus dem Fenster auf die dummen, sexlosen Autos ihrer amerikanischen Großstadt. Dann lässt sie ihr deprimierend klapperndes Plastikrollo runter und Wasser in die Badewanne und schneidet sich gefasst die Adern auf. Dazu läuft die ganze Zeit schon ein guter, atmosphärischer Song im Hintergrund, der die ruhig gefilmte Handlung trägt, und als sie stirbt, beginnt die Sängerin, zu singen.

Das wahre Leben beginnt erst nach dem Tod. Zwischen Himmel und Erde sitzt Jones in einem klassisch geisteswissenschaftlich eingerichteten Arbeitszimmer einem sympathischen, wohlwollenden Mann namens Abaca (John Clemens) gegenüber. Er möchte mit ihr darüber reden, wie sie sich jetzt ihre Zukunft vorstellt. Sie hat zwar, wie sie sich verteidigt, kein Verbrechen begangen, aber der freundliche Sachbearbeiter macht ihr klar, dass die Kirche, also auch Gott, im Selbstmord eine schwere Sünde sieht, und dass sie in die Hölle muss. Beide finden das ein wenig ungerecht; sie hätte wenigstens vorher richtig sündigen müssen. Vielleicht kann man das noch nachholen? Aber wie? Ist nicht auch Lust eine Todsünde? Miss Jones` Gesicht hellt sich auf bei der Idee; sie hat ihr Leben lang ja „nichts gemacht“, sich immer nur gesehnt. Auch ihr Berater ist froh, dass sie eine Lösung gefunden haben. Sie muss einfach nur durch die Tür da gehen. Das Ganze ist sehr süß und liebevoll gespielt. Man sieht den beiden den Spaß an ihren Rollen an, ohne dass sie sich drüber lustig machen.

Leider ist der nette, humorvolle Mann aus dem postmortalen Arbeitsamt dann nicht mehr Teil der Lösung, die sie erwartet, sondern ein schnauzbärtiger Macho, der sich hinter der Tür als Jones` Lehrer aufspielt. Eigentlich unnötig; sie kann das von alleine, ist mit dem Herzen dabei und voller begeisterter, dankbarer Verehrung für seinen Schwanz, den sie wie ein wundersames Geschenk liebkost. Er sieht auch recht gut aus, besonders, weil er wirklich steif wird. Bei den Pornos, die ich in den 80/90ern in der Videothek ausgeliehen habe, war das oft nur halb der Fall; man sah, es war ein Krampf oft für die Männer, und das war nicht sexy. Sich mit der Macho-Art des „Lehrers“ abzufinden hat man im Laufe der langen Sexszene als Zuschauerin viel Zeit, und irgendwann nimmt man`s ihm nicht mehr krumm. Vielleicht weil manche das erregend finden, wird es allerdings ziemlich ausgekostet, dass sein Eindringen in Vagina und After ihr weh tut. Aber okay, so viel Schmerz erleiden und zufügen muss wohl manchmal sein, sonst hören beide auf, bevor sie richtig angefangen haben. Was sollen die armen Katzen sagen, wenn die Kater mit ihren Dornenpimmeln kommen! „Vergiss den Schmerz und konzentrier dich auf die Lust“, rät ihr der Mann. Auch allgemein kein schlechter Rat. Frau Suk, bitte übernehmen Sie.

*

Tja, Frau Szy, ich kann leider dem schnauzbärtigen Lehrer auch nach längerem Zusehen nicht viel abgewinnen. Es scheint, als habe der zugegebenermaßen steife Penis mit ihm nichts zu tun. Fast die ganze Zeit über gibt er nüchterne, einsilbige Anweisungen, während sich Miss Jones an seinem Ständer erfreut. Es ist nur konsequent, dass die aufmerksame Schülerin sich hauptsächlich mit dem Penis und sich selbst unterhält, als hinge der lästige Mann überhaupt nicht daran. Der Typ ist nur Mittel zum Zweck, sie benutzt ihn wie ein praktisches Werkzeug, und bald ist es die lernfähige Miss Jones, die delirant aber zielstrebig sagt, wo’s lang geht. Das wird sich auch im Verlauf der Handlung nicht mehr großartig ändern.

Die Folgeszene, in der sich Miss Jones von einer Frau verführen lässt, ist die einzige Sequenz im ganzen Streifen, in der es vorrangig um Zärtlichkeit geht. Dank  der der Bedächtigkeit, mit der die Darstellerinnen vorgehen, der langsamen Kameraführung, der ruhig dahin wehenden Musik, der alles Stöhnen und Sprechen weicht, ist dies für mich die am schönsten anzuschauende Szene des Films. Danach sehen wir Miss Jones allein, in der Badewanne, dem Ort ihrer Todsünde, wo sie masturbiert. Auch wenn mir die musikalische Untermalung mit dem Lied vom Tod außerordentlich gut gefällt, stellt diese Szene den einzigen schweren Logikbruch des Films dar. Miss Jones hat nämlich sichtlich Spaß an der Selbstbefriedigung und scheint dabei zum Höhepunkt zu kommen. Weshalb dieses an sich in einem Porno begrüßenswerte Ereignis aus meiner Sicht hier ein Problem ist, klärt sich bei einem Blick auf die Rahmenhandlung. Aber dazu gleich.

Vor dem schließen der Rahmenklammer sehen wir unter anderem noch symbolträchtige erotische Spiele mit Obst (ja, auch ein Apfel ist dabei, er muss allerdings aus Formgründen dann einer Banane geschlagen geben) und – nicht minder demonstrativ – Züngelküsse mit Schlange (ich vermute, die Meinung der Tierschützer zur Schlangenszene ist gespalten). Angesichts der vielen skurillen und zum Teil ästhetisch gelungenen Ideen ist es schade, dass letztlich doch noch alle Standardsituationen des Genres abgearbeitet werden. Zwei Frauen und ein Mann, zwei Männer eine Frau, vorne, hinten, unten oben. Hier kaufe ich Miss Jones, die inzwischen reichlich ruppig mit ihren Partnern umgeht und verkrampft wirkt, den Spaß an der Sache nicht mehr wirklich ab.

Die Rahmenhandlung ist allerdings fantastisch konstruiert, die zirkuläre Struktur ist perfide. Die Szene, in der Miss Jones den Paranoiden bekniet, mit ihr zu schlafen, wiederholt sich nämlich am Ende. Denkt man anfänglich, der Verstörte im weißen Betonräumchen mit seiner abweisend-egozentrische Haltung sei der Anlass für Miss Jones Selbstmord, stellt sich schließlich heraus, dass er ihr Zimmergenosse im Fegefeuer und die Szene eine Prolepse ist. Diese Erkenntnis erlaubt auch eine Neuinterpretation der Situation im jenseitigen Arbeitsamt. Es muss bereits Teil der Hölle sein, und der nette, humorvolle Sekretär ist kein geringerer als der Teufel selbst. Wer sonst könnte auf die sadistische Idee kommen zuzulassen, dass die noch jungfräuliche Miss Jones, die offenbar ohne Sexualpartner nicht zum Orgasmus kommen kann, zunächst alle Facetten der Lust kennen und lieben lernt, um dann mit einem ganz und gar sexunwilligen Partner in der Zelle zu landen? Selbst Sartres klaustrophobische Höllenkonstruktionen können hier an Perfidität nicht mithalten. Genau hier ist aber auch das oben angesprochene Logikproblem zu finden. Könnte sie sich selbst zum Orgasmus bringen, wäre sie nicht auf die Hilfe ihres unwilligen Zimmergenossen angewiesen.

Der teuflische Beamte jedenfalls, der seiner Klientin nicht zufällig einen Glimmstengel anzündet (hallo? Zigaretten im mutmaßlichen Vorzimmer zum Himmel?!), kündigt seine Vorgehensweise sogar relativ deutlich an. „What the hell, why not?“, vermeldet er nach gespieltem Zögern, als Miss Jones sich ein Leben voller Lust erträumt. Er werde sie beobachten, verkündet er, und sobald er das Gefühl habe, sie hätte genug gehabt, werde er sie zurückholen. Keine Widerrede. Miss Jones willigt ein, nicht ahnend, dass die Paraphrase der satanischen Verse lautet: „Ich hole dich, sobald du so weit bist, dass du ohne Sexualpartner vor Wollust vergehst, und stecke dich in eine WG mit einem Abstinenzler.“ Ja, so schnell hat man einen Pakt mit dem Versucher geschlossen. Und wenn der vielleicht doch nicht ganz so verrückte Zellengenosse in der Schlussszene noch einmal sagt, er, der Teufel, sei irgendwo im Raum und werde sich schon zeigen, ahnen wir auch, wo er steckt.

USA 1973, Gerard Damiano

Silvia Szymanski und Bianca Sukrow

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Über den Autor

Silvia Szymanski & Bianca Sukrow | Silvia Szymanski, geb. 1958 in Merkstein, war Sängerin/Songwriterin der Band "The Me-Janes" und veröffentlichte 1997 ihren Debutroman "Chemische Reinigung". Weitere Romane, Storys und Artikel folgten. Bianca Sukrow, geb. in Aachen, ist Literaturwissenschaftlerin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Mitgründerin des Leerzeichen e.V. Das alles hält sie nicht davon ab, über Sachen zu schreiben, von denen sie keine Ahnung hat (Filme z. B.)

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5 Kommentare zu "The Devil in Miss Jones"

  1. Frau Suk 24. Mai 2011 um 22:24 Uhr · Antworten

    Für mich macht die Vorstellung, es handele sich um den Teufel, die Figur sogar noch interessanter und seltsamerweise auch sympathischer. Mein Bauch findet nur dann Filme nachhaltig gut, wenn mein Kopf mit ihnen beschäftigt ist…

  2. Eckhard Heck 23. Mai 2011 um 08:14 Uhr · Antworten

    Bongwater sind mir auch durch gegangen. Erstaunliches Video.

  3. Silvia Szymanski 21. Mai 2011 um 18:21 Uhr · Antworten

    Und eine andere Independent Band hat folgendes schöne und passende Lied gemacht:

    http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=q559R0DFXz4&oref=http%3A%2F%2Fstatic.ak.facebook.com%2Fcommon%2Freferer_frame.

    „Bongwater – The Power of Pussy“. Den Hinweis verdanke ich unserem stilvollen Leser Bruno Voellm.

  4. Silvia Szymanski 19. Mai 2011 um 16:18 Uhr · Antworten

    Liebe Frau Suk, es klingt so schlüssig, was Sie sagen. Ich denke mit dem Kopf, Sie haben Recht, und glaube mit dem Bauch, dass dieser nette Mann im Film doch nicht der Teufel ist… „Ich habe mich immer gern auf die Freundlichkeit von Fremden verlassen“ (Blanche in Endstation Sehnsucht, als sie vom Psychiater abgeholt wird). Neben ihm ist der um seine Angst kreisende Mitbewohner mein Lieblingsmann in dem Film. Überhaupt bewundere ich – bei diesen beiden Figuren, aber auch bei der Protagonistin und den anderen Frauen – das Casting des Filmes mit Menschen mit ungewöhnlicher Ausstrahlung.

  5. Alex Klotz 12. Mai 2011 um 02:22 Uhr · Antworten

    Wo von Independent-Bands die Rede war, möchte ich an dieser Stelle auf diese vorzügliche Garagepunk-Band aus Mönchengladbach hinweisen, die den Filmtitel gleich zum Bandnamen gemacht haben.

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