Alles, was wir geben mussten

Von  //  23. April 2011  //  Tagged:  //  2 Kommentare

Ruth, Kathy und Tommy. The end is at hand. (Foto: 20th Century Fox)

Wenn man die Prämisse des Films ernst nimmt, ist sie sein einziger Pluspunkt, aber auch seine größte Schwäche. Und die Prämisse geht so: 1952 können alle Krankheiten geheilt werden. 1967 beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung mehr als 100 Jahre. In „Anstalten“, die an viktorianische Internate erinnern, werden jungen Menschen „herangezüchtet“, die für die restliche Bevölkerung, die nicht mehr erkrankt, sondern nur noch altert, als Organ-Ersatzteillager dienen.

Kathy, Tommy und Ruth sind drei dieser Jugendlichen. Man verschweigt ihnen keineswegs, was ihre Bestimmung ist, und dass sie nach der ersten, zweiten oder spätestens dritten Spende „vollenden“, sprich sterben werden. Keiner der „Todgeweihten“ begehrt dagegen auf. Keiner versucht sich der subtilen aber allgegenwärtigen Überwachung wirklich zu entziehen. So leben Kathy, Tommy und Ruth ein Leben, das im Wesentlichen von kindlichen und pubertären Problemen geprägt ist. So what?
Wenn Mark Romanek darauf spekuliert, dass ich mich per se moralisch entrüste, muss ich ihn enttäuschen. Mag sein, dass mich Fleisch (Rainer Erler, 1979) oder Coma (Michael Crichton, 1978) im Bezug auf das Thema „der menschlichen Körper als Ersatzteillager“ ethisch und moralisch geimpft haben und meine Rezeption prägen. Mag auch sein, dass meine Fähigkeit zur Empathie gegenüber der menschlichen Rasse in letzter Zeit etwas gelitten hat. Aber versucht das vorliegende Werk nicht gerade jede Form der Empathie erst einmal zurückzuweisen, in dem es die Figuren nicht vordergründig als Opfer deklariert? Soll ich das also als Prämisse hinnehmen, aber dennoch den ganzen Film über im Kopf behalten, wie furchtbar gemein und unmenschlich das alles ist? Und soll ich mich nebenbei für die Probleme Heranwachsender interessieren, die mich in der abgeschmackten Form, in der sie Alles, was wir geben mussten verkauft, auch nicht wirklich tangieren? Irgend etwas geht hier furchtbar schief.

Ich goutiere schon, dass der Film eine interessante Gratwanderung versucht, die vermutlich in der literarischen Vorlage (Never Let Me Go, Kazuo Ishiguro, 2005) konsequenter angelegt ist. Eine zutiefst inhumane Gesellschaft als „normal“ darzustellen – und zwar vor allem dadurch, dass ihren Regeln nicht im mindesten widersprochen wird – könnte durchaus einen nachhaltigen Horror auslösen. Es existiert keine moralische Instanz. Kein Held und keine Heldin, die das Unrecht bekämpfen. Es existiert – so gesehen – gar kein Unrecht. Darüber sollen wir uns empören. Na gut. Ich empöre mich. Aber nur, weil man so etwas (gesunden Menschen Organe entnehmen) einfach nicht tut. Es gibt wahrlich genug Parallelen in der Welt in der wir leben, über die man sich ständig echauffieren kann, und es gibt wichtige Filme darüber. Aber der Wegfall moralischer Grenzen, der in der sedativen Gleichgültigkeit eines Mittelklasse-Idylls endet? Nach der Feststellung der Tatsachen bleibt dann für den Rest der Laufzeit nur noch, ein laues Melodram zu erzählen, für das mir jedes Tempo-Taschentuch zu schade ist. Als „Biopolitische[s] Szenario, [das] zum Hintergrund für ein Melodram [wird], das die biopolitischen Aspekte zur großen Gefühlsproduktion durch starke Begrenzung der Glücksmöglichkeiten ausbeutet“, bezeichnet Kollege und beinahe Namensvetter Ekkehard Knörer den Film bei perlentaucher.de. Wahr gesprochen.

Und auch das muss gesagt werden: Alles, was wir geben mussten ist handwerklich kaum zu beanstanden, steht sich aber auch formal selbst im Weg. Alles – die Farbe, die Kamera, die Kulissen – ist explizit zurückgenommen (listiges Retro-Gewand nennt das DIE ZEIT) und wirkt auf mich so tot wie Tofu.

GB 2010, Regie: Mark Romanek

 

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Über den Autor

Eckhard Heck besitzt eine der umfangreichsten Baustellen-Sammlungen Nordrhein-Westfalens. Unter anderem ist er Autor, Musiker, Maler, Fotograf und Glaubensberater.

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2 Kommentare zu "Alles, was wir geben mussten"

  1. Marco Siedelmann 4. Mai 2011 um 16:01 Uhr · Antworten

    Schöner Text, nehme ich dir gerne ab. Würde mir den Film grundsätzlich auch sparen aber durch die wunderbare Compilation The Work of Director Mark Romanek habe ich kürzlich festgestellt, das Romanek mich (und meine ganze Generation) doch schon ziemlich beeinflusst hat, auch wenn kaum einer seinen Namen kennt. Seine Musikvideos für Madonna, Lenny Kravitz, Johnny Cash, Nine Inch Nails, No Doubt, R.E.M., die Chili Peppers und viele mehr, das sind schon beeindruckende Kostproben einer innovativen Inszenierungskunst. Das seine Spielfilme (bisher drei an der Zahl, noch keinen davon gesehen) da aber nicht mithalten können, das hab ich mir schon gedacht.

  2. Silvia Szymanski 24. April 2011 um 09:40 Uhr · Antworten

    „Tot wie Tofu“! Das sagst du gut :-)

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